Resümee: Dekoloniale Ästhetiken in der Gegenwartsdramatik
von Grit Köppen
Erschienen in: Recherchen 173: Dekoloniale Ästhetiken im zeitgenössischen Theater (05/2025)
Dekoloniale Ästhetiken im zeitgenössischen Theater seit den 2000er Jahren weisen ein breites Spektrum auf. Dieses fasse ich theoretisch zwischen zwei großen Polen: einer Ästhetik des Aufruhrs und einer Ästhetik der Transgression652. Diese sind jedoch nicht binär zu denken, sondern können sich gegenseitig ergänzen, überlagern und um andere Ästhetiken erweitert sein. Dekoloniale Ästhetiken sind allerdings eben nicht nur als Prozess des delinking653, also als Entkopplung von westlichen Modellen, zu denken. Das ist eine Möglichkeit unter verschiedenen. Es sind sehr unterschiedliche Einflüsse erkennbar. Ein Spektrum mit vielen verschiedenen Nuancen im Bick zu behalten, ist wichtig, um den unterschiedlichen künstlerisch-ästhetischen Strategien der Künstler:innen Rechnung zu tragen und dekoloniale Ansätze nicht auf eine Formel zu reduzieren.
Die Ästhetik des Aufruhrs umfasst einen wuchtigen Aufschrei gegen die spürbaren Langzeitfolgen kolonialer Herrschaftsverhältnisse bis in postkoloniale Realitäten hinein. Entgegen einem Klagelied, das diese Verhältnisse betrauert, steht bei der Ästhetik des Aufruhrs eine widerständige Selbstartikulation im Vordergrund, die die Absurdität sinnentleerter kolonialer Matrix verlacht und die Obszönität dessen lautstark anprangert. Diese Ästhetik ist in den Theatertexten auf Ebene des Inhaltlichen und auf Ebene des Sprachlichen zu identifizieren bezüglich der Artikulation einer umfassenden Kritik an der bestehenden Kolonialität, also der Fortführung kolonialer Muster in der...