Theater der Zeit

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Auftritt

Theater Junge Generation: Verstrickt ins Leben und von ihm gefesselt

„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ nach dem Roman von Erich Kästner – Regie Nils Zapfe, Bühne, Kostüme und Puppen Edith Kollath

von Michael Bartsch

Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater Theaterkritiken Sachsen Theater Junge Generation

Susan Weilandt und Stefan Kuk in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, in der Regie von Nils Zapfe Foto: Marco Prill
Susan Weilandt und Stefan Kuk in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, in der Regie von Nils ZapfeFoto: Marco Prill

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Er habe gar nicht bemerkt, dass es sich um die dramatische Umsetzung einer Romanvorlage handelte, bescheinigte ein junger Zuschauer aus der Zielgruppe 14+ der „Fabian“-Inszenierung am Dresdner Theater Junge Generation. Wenn er trotz einer Sause am Vorabend eineinhalb Stunden hellwach blieb, kann man dem Kinder- und Jugendtheater im Kulturkraftwerk Mitte schon einmal bescheinigen, das Nahziel erreicht zu haben. Das Fernziel auch, denn die beträchtlichen Premierenpublikumsanteile 40+, darunter die Dresdner Kulturbürgermeisterin und die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, äußerten sich gleichfalls staunend über die ästhetischen und dramatischen Gelungenheiten.

Staunen mag man zuerst darüber, mit welch sparsamen, aber eindringlichen Mitteln es dem bewährten Hausregisseur Nils Zapfe gelingt, ein Panorama der späten Weimarer Republik zu zeichnen. So ist der autobiografisch gefärbte Roman Erich Kästners auch angelegt. Den Wechsel der Schauplätze bewerkstelligt das Konzept mit einem wirkungsvollen und für das junge Publikum sogar teils amüsanten Trick. Die Szene wechselt nicht auf der Bühne, sondern die Besucher wechseln die Szenen. Nach einem Prolog auf dem Proszenium ziehen nämlich alle auf die Drehbühne hinter den Eisernen Vorhang um. Dass diese die Traversen für geschätzt hundert Zuschauer auch trägt, ist zuvor mit Schulklassen getestet worden.

So genügen wenige Kulissenandeutungen, im wechselnden Öffnungsfeld des drehbaren Zuschauerraums die jeweilige Atmosphäre zu schaffen. Das Piktogramm einer Häuserfront mit fahl schimmernden Fenstern, symbolisierte Gitter zum Beispiel. Für den schwülen Klub oder für das laszive Atelier der Bildhauerin hebt sich der „Eiserne“ ein wenig, aber mehr als einige Podeste braucht es auch dann nicht. Schon gar keine Videos oder anderen Illustrationskram für die Begriffsstutzigen. Als der ehemalige Werbe-Propagandist Fabian 1930 vor dem Kampfplatz Berlin und vor seinem eigenen drohenden Scheitern ins heimatliche Dresden flieht, erlebt man diese Zugfahrt auf der sich heftiger drehenden und rumpelnden Bühne geradezu physisch. Und fühlt sich daran erinnert, dass der Gleiszustand auf dieser Strecke bis heute kein besserer ist.

Regisseur Nils Zapfe baut erfolgreich auf die Phantasie und die Imaginationskraft seiner vermeintlich so multimedial anspruchsgewohnte Zielgruppe. Allein schon der dunklen Grundstimmung der Inszenierung kann sich niemand entziehen. Nicht nur die sechs Spielerinnen und Spieler neben Jakob Fabian agieren vor allem in der Gruppe als „der Tod“. Der prägt nicht nur ihre Kostüme, das Todesschwarz dominiert auch als Nicht-Farbe. Vermutlich war das ein weiterer Grund, den Bühnenraum in seinem Theaterschwarz als Erlebnisraum zu wählen.

Wie das jähe Ende der Hauptfigur Fabian 1930 wirft Gevatter Tod seinen Schatten schon auf die wilden und zugleich so elenden Zwanziger zuvor, die der eher schüchterne Moralist Jakob Fabian auf der Suche nach Orientierung durchstreift. Die millionenfach tödliche Machtergreifung der Nazis wird dabei nur angedeutet. Nach dem Ersten Weltkrieg gilt ihm Berlin zunächst als „das langsamste Teufelsrad der Welt“. Die Drehbühne gerät auch zu einem solchen. „Der Tod, auch aus ihrem Gesicht grinst er mich an“, sagt Fabian zu Irene Moll im diskreten Anbahnungsklub. An deren „volle, schwarz vergitterte Brust“ presst er übrigens seinen Kopf im Roman. „Das Leben will noch vor dem Tode erledigt sein“, heißt es im Dialog mit Freund Labude, der vor ihm stirbt. Ein Obdachloser denkt an den Tod und liebt deshalb das Leben. Nekromanie allenthalben.

Die starken visuellen Erinnerungen an diese Aufführung sind der einzigartigen Ausstattungskonzeption von Esther Kollath als Gast zu danken. Erst im Vorjahr trug sie maßgeblich zum Erfolg von „Casanova“ nebenan an der Staatsoperette Dresden bei. Sie zaubert mit Seilen und Schnüren, drapiert die Akteure mit allerlei Umhängebäuchen, ja schafft ein eigenes Figurentheater aus Stoffwülsten.

Schon beim Prolog liegen zwei Stoffkeulen gegeneinander auf der Vorbühne. Dieses kurze Vorspiel nimmt den ersten Weltkrieg als das für die 1920-er prägende Ereignis vorweg. Mit seiner „Friedensansprache“ schickt Kaiser Wilhelm II. 1914 seine deutschen Untertanen in den Krieg, und aus den beiden Enden der Keulen werden die gezwirbelten Enden seines Schnauzbartes.

Mit solchen fantasievoll-grotesken Einfällen geht es weiter. Was eben noch eine geflochtene oder gerollte Kopfbedeckung war, entrollt sich zu einer Telefonleitung, aus zusammengerollten Bechern wird getrunken, Zimmerkonturen werden so simpel wie anschaulich mit einem Seil auf dem Boden markiert. Textile Gewehre werden benutzt, die Verführerin aus dem Klub giert mit geilen Stofftentakeln, ein gekreuztes Pharaonenzepter besteht aus Krummseilen. Wie ein Berg aus gewaltigen Kissen, wie ein mütterlicher Buddha thront am Ende die Mama vor ihrem Heimkehrer. Auch wer Kästners Biografie nicht kennt, versteht sofort dessen Emanzipationsbemühungen von der vereinnahmend-besorgten Mutter.

Während die vorangegangenen Episoden wohldosiert und organisch erscheinen, wirkt das Ende seltsam beschleunigt. Den Abschied von der geliebten Cornelia bekommt man kaum mit, und Fabians Ertrinken beim Lebensrettungsversuch eines von einer Dresdner Brücke gefallenen Jungen wird knapp und lakonisch berichtet. Mit einem Epilog schließt sich dann aber der Kreis, aus dem Teufelsrad wird ein Glücksrad, „einmal lebt man nur auf dieser Welt“, singen die sieben Akteure.

Unter ihnen verdienen Stefan Kuk als Fabian und die enorm vielseitige, vehemente und verführerische Susan Weilandt besondere Erwähnung. Auch Adrienne Leijko bleibt als Cornelia in anrührender Erinnerung. Dass auch hier aus technisch-akustischen Gründen Mikrofone benutzt werden müssen, bleibt die einzige marginale Beeinträchtigung eines lange nachwirkenden Theaterabends.

Erschienen am 5.4.2023

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