Bericht
Der große Widerspruch
Indigenismus auf dem Kunstmarkt
von Tiziano Cruz
Erschienen in: Theater der Zeit: ¡Adelante! – Theater aus Iberoamerika (02/2024)
Assoziationen: Südamerika
Ich erzähle Ihnen etwas über uns, weil es vermutlich sonst niemand tut, doch es ist für mich eine Herausforderung, unsere Praxis der sogenannten „Arte Indígena“ zu theoretisieren, die indigene Kunst, die der Selbstvergewisserung, der Rückforderung von Rechten und Ansprüchen eines durch den Kolonialismus dezimierten Teils der Weltbevölkerung dient.
Ich kann nicht fortfahren, ohne zuerst auf die Voraussetzung dieses Vorgangs einzugehen, das Privileg des (sich) Denkens, denn ich gehöre zu einer Bevölkerungsgruppe Argentiniens – oder dem großen Gebiet von Abya Yala1 – in der das Denken nur als Werkzeug zur Beschaffung des täglichen Lebensunterhalts dient. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, ein indigener Künstler könne zwar ein Kunstwerk erschaffen, sei aber unfähig zu einer politischen oder gar ideologischen Analyse seiner Realität – mit der Folge, dass die Freiheit des Denkens und Handelns bis heute eingeschränkt sind, wenn es um die Peripherie geht.
Indigene Repräsentation
In den letzten Jahren ist die Sichtbarkeit zeitgenössischer künstlerischer Arbeit von Indigenen stark gestiegen, daher möchte ich lieber über Werke und Stücke und weniger über die Künstler sprechen, von denen sich viele immer noch nicht als solche begreifen, während die Materialität ihrer Kunst zunehmend anerkannt wird. Das hat damit zu tun, dass es lebensgefährlich sein kann, sich...