Theater der Zeit

Thema: blackfacing

Anders geht’s ja nicht!

von Ernest Allan Hausmann, Matthias Dell und Elizabeth Blonzen

Erschienen in: Theater der Zeit: Blackfacing (10/2014)

Assoziationen: Debatte

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Die Schauspielerin und Autorin Elizabeth Blonzen und der Schauspieler Ernest Allan Hausmann über afrodeutsche Erfahrungen im Theater und die Frage, was Blackfacing über eine Gesellschaft sagt

im Gespräch mit Matthias Dell

Für die deutsche Theateröffentlichkeit ist die Diskussion über Blackfacing und strukturellen Rassismus relativ neu. Wann haben Sie Erfahrungen damit gemacht?

Elizabeth Blonzen: Ich war in Wuppertal gerade Ensemblemitglied geworden, Mitte der neunziger Jahre, und in der ersten Woche kam ich in die Kantine – und die war voll mit schwarz geschminkten Statisten. Ich kam mir vor wie in der Leprahöhle in „Der Tiger von Eschnapur“. Es stellte sich heraus, dass sie „Herrenhaus“ von Thomas Wolfe probten, ein Südstaatendrama mit vielen Sklaven. Der Sklave, der ein Lied singen sollte und fast keinen Text hatte, wurde mit einem schwarzen Kollegen besetzt, während der Hausangestellte, der eine größere Rolle mit viel Text hatte, von einem weißen Kollegen gespielt wurde, der schwarz geschminkt war.

Wurde Ihnen schon mal nahelegt, sich selbst anzumalen?

Blonzen: Ich habe oft schwarze Afrikanerinnen gespielt, was eigentlich heißt: Bewohnerinnen verschiedener Nationen. Man spielt ja auch keine Europäerin, sondern eine Griechin oder Französin. Schwarz ist für die aber immer einfach Afrikanerin. Ich musste mich nie schwärzer schminken. Ich verurteile Blackfacing dennoch. Ich finde es nicht schlimm, wenn Leute sich schwarz, weiß, gelb, rot, grün anmalen, aber was beim Blackfacing zusätzlich an schauspielerischen Mitteln verwendet wird, sagt mir, warum ich das nicht gut finde. Und warum das zu Recht abgelehnt wird von Schwarzen.

Ernest Allan Hausmann: Blackfacing kommt aus den Minstrel Shows und war eine alberne Darstellung von schwarzen Menschen. Weiße Schauspieler pinseln sich ihr Gesicht und ihre Hände schwarz und meinen dann, Schwarze darstellen zu können. Das funktioniert vielleicht, wenn man sich über Schwarze lustig machen möchte, und man könnte vielleicht darüber lachen, wenn es eine sehr große Selbstreflexion auf beiden Seiten gibt. Aber sobald man sich ernsthaft mit schwarzen Menschen auseinandersetzt, wird das grotesk. Dass wir das jetzt noch diskutieren, ist ganz schön krass. Aber ich glaube, Deutschland braucht diesen Prozess, auch den Protest. Es ist wichtig, dass es die Aktionen im Theater gibt. Die Welt hat sich verändert, sie ist komplexer geworden. Darauf muss sich auch das Theater einstellen.

Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?

Hausmann: Im Film wurde ich dunkler geschminkt, weil meine Schwester im Film dunkler war. Im Berliner Ensemble sollte ich mir bei Peter Turrinis „Ich liebe dieses Land“ (Blonzen lacht) die Haare länger machen, damit ich noch fremder aussehe. Dabei ist für mich Schwarzsein kein Zeichen von Fremdheit.

Blonzen: Das geht mir genauso.

Hausmann: Ich bin ja in Deutschland geboren und aufgewachsen. Fremd ist für mich, eine andere Sprache zu sprechen, keine Frage von Äußerlichkeiten.

Blonzen: Minstrel Shows haben ja nicht gezeigt, wie schwarze Universitätsprofessoren oder Anwälte sich verhalten, sondern mit dem Anmalen waren von Beginn an negative Eigenschaften verbunden: Faulheit, Dummheit und so weiter. Das sehe ich bei den Kollegen bis heute, man setzt sich damit nicht auseinander. Da wird die Farbe drangeklatscht und dann spielt man Schwarze als Affen. Das Problem, das die Figur hat, nach dem man eigentlich immer sucht als Schauspieler, oder die Begegnung mit anderen, die findet gar nicht statt. Das geht schon bei den Stücken los, wo Schwarze oft ganz Afrika repräsentieren sollen bzw. das Problem, das Afrika für uns Deutsche hat. Also: Ich möchte gerne Asyl, ich suche eine Arbeit, ich bin bei Frontex schon dreimal abgeprallt. Aber nie: Ich suche eine Kita für meine Tochter, ich bin bei einer Prüfung durchgefallen, ich kann mich nicht entscheiden, ob ich in dieser oder in jener Kanzlei arbeiten will. Immer sind es Underclass-Leute, die aus einem anderen Land kommen, und nicht, wie Ernest und ich, Leute, die in Deutschland geboren sind und eben eine dunklere Hautfarbe haben als andere in diesem Deutschland. 50 Prozent der Kinder, die in Berlin geboren werden, haben einen Migrationshintergrund.

Was bedeutet diese Differenz, deutsch sein und schwarz?

Blonzen: Schwarzsein bedeutet nicht, dass ich mir Farbe draufklatsche und die abends wieder abwasche, sondern dass man mit einer drohenden Gefahr durch die Welt geht. Jetzt, hier, in einem Café in Berlin-Mitte, habe ich keine Angst, aber es könnte immer jemand kommen, der sagt: „Ich finde deine Hautfarbe scheiße“, und mir eine reinhaut. Diese Gefahr ist größer als für Weiße in Berlin und in Castrop-Rauxel.

Hausmann: Alles erlebt.

Blonzen: Deswegen muss man sich damit auseinandersetzen. Das wissen aber die Regisseure nicht, und das wollen sie meistens auch nicht wissen.

Wie sind denn die Reaktionen, wenn Sie so etwas artikulieren?

Blonzen: Unwirsch.

Hausmann: „Ja, aber …“ kommt dann, das ist so der Reflexionsstandard. „Ja, aber das sind doch Probleme, die du hier nicht hast.“ Wenn ich erzähle, ich war am See mit meinen Kids, und da wurde gesagt, wenn mein Sohn ins Wasser geht, dann ist der See verpestet, dann kann sich der „Ja, aber“-Sager schon fragen: Wie verhalte ich mich dazu? Diese lapidare Einstellung „Ja, aber du hast diese Probleme doch nicht“ ist eine einfache Art und Weise, etwas abzutun. Es hat etwas miteinander zu tun. Welche Gesellschaft braucht ein Theater, in dem geblackfacet wird? Ich würde sagen, dass sich diese Gesellschaft mit anderen Menschen, mit anderem Aussehen nicht wirklich auseinandersetzen möchte. Und warum möchte sich diese Gesellschaft nicht auseinandersetzen? Bei längerem Nachdenken komme ich nur zu dem Schluss, dass diese Gesellschaft nicht selbstbewusst ist. Eine selbstbewusste Gesellschaft bräuchte sich nicht anzumalen, die würde sich ernsthaft mit allen auseinandersetzen, die auf diesem Planeten leben. Darum geht es doch im Theater.

Wie ist es, solche Fragen in den Abhängigkeitsverhältnissen aufzuwerfen, in denen man als Schauspieler steckt?

Hausmann: Es ist immer eine Gratwanderung. Kann ich den Konflikt in einer Probe irgendwie umgehen? Oder muss ich intervenieren und sagen: Nee, Leute, so handeln wir jetzt absolut rassistisch, so werde ich rassistisch eingesetzt. Manchmal muss ich viele Abstriche machen, weil ich das Geld brauche, weil das mein Beruf ist. Es ist nicht immer erbaulich, mit solchen Kompromissen zu leben. Eigentlich müsste man sagen: Ich gehe diese Kompromisse nicht mehr ein, auch auf die Gefahr hin, dass man dann weniger Rollen bekommt. Aber dann würden die Rollen vielleicht wirklich Qualität haben und wahrscheinlich auch viel wichtiger sein.

Blonzen: Man wird als Schwarze immer mit gesellschaftlichen Problemen verbunden. Das möchte ich nicht. Ich möchte als Schauspielerin gerne eine Rolle spielen, für die ich geeignet bin. Der Beruf erfordert, dass man offen ist, aber dann muss man sich in einem Probenprozess dauernd wappnen und kämpfen. Ich spreche oft mit meinem Mann darüber, der weiß ist. Er sagt, dass die weißen Deutschen das nicht mögen, wenn sie sozusagen ertappt werden bei ihrem Rassismus. Deshalb wird dann abgewehrt, verniedlicht, kleingemacht, das ist doch gar nicht so schlimm. Dann muss man unheimliche Opfergeschichten erzählen – ich wurde schon mal zusammengeschlagen, ich wurde vergewaltigt von fünf weißen Männern gleichzeitig –, damit die Leute sagen: Verstehe, dann sage ich das N-Wort nicht mehr, ja? Warum man das immer so drastisch begründen muss, ist mir schleierhaft. Wenn eine Frau Franziska heißt, und ich nenne die Zissi, und die sagt: „Ich will das nicht“, dann sage ich doch nicht: „Zissi, Zissi, Zissi!“ Dann sage ich Franziska oder Franzi oder was sie will. Aber das N-Wort ist bei den Weißen so ein Tourette-Ding.

Hausmann: Außerdem haben wir Namen.

Wie stellen sich die Debatten dar?

Blonzen: Ich habe noch nie erlebt, dass eine Diskussion über Blackfacing, das N-Wort, die ganzen Themen, die mit Schwarzsein zu tun haben, ohne einen Riesen-Widerstand abgelaufen sind. Es gibt immer mindestens einen, der dagegen ist, und sofort siehst du ein paar, die überlegen, weil die Positionierung des Regisseurs zu diesem Thema noch unklar ist. Am Anfang der Probenzeit weiß man nicht, ob die Elizabeth toll ist oder nicht, also sind die vorsichtig. Wenn man den Streit für sich entscheidet, sagen sie: „Ich finde das auch schlimm.“ Danach natürlich, öffentlich, nicht in der Diskussion. Von einem Kollegen habe ich gehört, dass es bei der Simons-Inszenierung des Genet-Stücks mit dem Peter-Stein-Titel Protest gegeben hat – natürlich von schwarzer Seite. Ich fände es super, wenn Weiße mal sagen würden: „Ich finde es nicht okay, wie fühlen sich denn da die Schwarzen?“ Wenn Juden mit einer langen Nase auf einem Geldberg sitzen sollen, dann muss ich doch keine Jüdin sein, um zu sagen: Das könnt ihr nicht machen.

Werden Sie manchmal um Rat gefragt? Vorher, von Weißen, wenn die sich nicht sicher sind, ob das, was sie machen, vielleicht rassistisch ist, auch wenn sie das nicht wollen?

Blonzen: Roland Schimmelpfennig, ein Freund, der fragt mich. Wir haben mal ein Stück gemacht, das zum Teil in Afrika spielt. Das war ein Prozess, der dann sehr schön ausging. Aber normalerweise ist das eher unerwünscht, dass man etwas dazu sagt, Rat gibt.

Hausmann: Die größte Angst für Weiße ist, mit dem eigenen Rassismus konfrontiert zu werden. Und weil das im Theater alles schlaue Menschen sind, meiden sie das. Es ist unangenehm, wenn jemand sagt, da handelst du rassistisch, du handelst so, dass es andere Menschen verletzt. Das wird von der schwarzen Community permanent geäußert, und das muss man irgendwann mal ernst nehmen und sagen: Okay, da scheint irgendwas zu sein, was die echt nervt.

Einen Vorwurf von Weißen, den man öfter hört, ist, dass Schwarze die Diskussionen zu hart führten, militant.

Blonzen und Hausmann: Aber anders geht’s ja nicht! Anders wird’s ja nicht wahrgenommen.

Blonzen: Was soll man denn sonst machen?

Hausmann: Das ist wie bei einem Kind, dem man sagt: Spring nicht in die Pfütze. Und dann macht es das doch. Dann erklärt man das noch mal und noch mal und auch noch mal. Aber wenn es das dann immer noch macht, braucht es eine Zäsur, sonst versteht es das nie.

So wie Bruce Norris, der Autor von „Clybourne Park“, der dem Deutschen Theater in Berlin die Aufführung untersagte, weil eine Schauspielerin angemalt werden sollte.

Hausmann: Am DT fühlten sich viele auf den Schlips getreten. Aber der Autor hat das Recht zu sagen: „So wird das nicht gespielt!“ Nur wollte sich das DT nicht sagen lassen, wie sie ihre Kunst machen. Das kann ich auch verstehen. Auf der Bühne ist erst mal alles erlaubt; was dann daraus wird, sieht man an der Vorstellung. Wir haben dann überlegt, was wir machen, das Ensemble war zusammengestellt, ich hatte ein Engagement. Wir sind dann auf „Die Kommune“ von Thomas Vinterberg gekommen. Wenn das Theater das Stück ohne die Vorgeschichte angesetzt hätte, hätte mich sicherlich keiner angerufen, um die Rolle des Virgil zu spielen. Weil ich aber schon engagiert war, habe ich sie übernommen. Das hat niemanden gestört. Und als Folge hat Rafael Sanchez mich dann in Zürich als Lysander im „Sommernachtstraum“ besetzt. Das hat Spaß gemacht, und ich habe mich gefreut, endlich mal Shakespeare spielen zu können.

Blonzen: Ich hatte mit solchen Besetzungsautomatismen nicht solche Schwierigkeiten. Das liegt an einer Mischung aus Blauäugigkeit und Ignoranz meinerseits, mir war durch die Ausbildung, in der ich alles gespielt habe, nicht klar, wie die Realität aussieht. Ich denke nicht an die Hautfarbe, wenn ich ein Stück lese, sondern an die Rolle: Bin ich dafür geeignet, kann ich die spielen? Nicht: Ist sie schwarz oder weiß?

Sie haben gesagt, dass auf der Bühne alles erlaubt sein muss. Also auch Blackfacing?

Hausmann: Wie gesagt, die sollen sich anmalen, wie sie wollen. Wenn das eine schlaue Aussage hat, dann kann ich damit leben. Grundsätzlich bin ich nur dagegen, dass man meint, man könnte schwarze Menschen repräsentieren, indem man sich Farbe ins Gesicht malt und sagt: „Wir haben nicht genügend schwarze Schauspieler.“ Das ist das dümmste Argument. Das stimmt einfach nicht.

Blonzen: Darum geht es auch nicht. Schwarze würden Schwarze nicht als Karikatur spielen, das ist das Problem. Da kommt eine andere Realität hinein: Was wollen wir mit der Inszenierung? Und nicht: Wie spiele ich lustig einen Schwarzen?

Nun gibt es afrodeutsche Schauspieler wie Michael Klammer, die Blackfacing nicht als Problem sehen. Da sind weiße Theaterkritiker dann erleichtert, ist mein Eindruck.

Blonzen: Ich finde Michael Klammer ist erst mal ein supertoller Schauspieler. Und seine Haltung ist halt seine Haltung. Man kann uns nicht über einen Kamm scheren. Wir haben alle unterschiedliche Biografien und unterschiedlichen Haltungen zu unserer Hautfarbe.

Im Zusammenhang mit der Kritik und wer sie äußern darf, fand ich vor über einem Jahr interessant, wie die Zeit ein ganzes Dossier zur Rettung des N-Wortes in Otfried Preußlers „Kleiner Hexe“ aufgefahren hat, um dann ganz gerührt zu sein, als ein afrodeutsches Mädchen schrieb, dass es sie verletzt, so genannt zu werden. Das hätten die auch früher verstehen können.

Hausmann: Die Kinderbuchdiskussion ist ein Beispiel dafür, wie absurd argumentiert wird. Jede andere überholte Sichtweise, jeder Fehler in einem Schulbuch wird korrigiert. Aber dann will man unbedingt Kindern beibringen, dass sie Schwarze „Neger“ nennen sollen, damit sie danach einen auf den Deckel kriegen und man es ihnen erklärt. Was soll das?

Blonzen: In dem Alter, in dem „Pippi Langstrumpf“ gelesen wird, checken Kinder das nicht. Da kann ich doch als Eltern nicht sagen: Ich bringe dir ein Wort bei, das ich eigentlich gar nicht meine. Versteht kein Kind. Kinder wollen Geschichten hören, keine Erklärungen. Sie überprüfen nicht den historischen Kontext. Sie sind weder Historiker noch Literaturwissenschaftler.

Wegen der Geschichte mit „Clybourne Park“: Wäre das nicht ein praktischer Vorschlag, mit dem weiße Regisseure sich blind machen könnten gegen die eigenen Sehgewohnheiten. Als gedankliche Krücke, dass man sich sagt: Ich caste für Wolfes „Herrenhaus“ und inszeniere dann Grabbes „Scherz, Ironie, Satire und tiefere Bedeutung“?

Blonzen: Ich fände am besten, man würde einen Vertrag über zwei Stücke haben. Nicht wegen des Geldes, sondern damit man den Zuschauern zeigt: So, das Stück mit Flüchtlingen machen wir jetzt mit einer Schwarzen, und die macht dann aber auch noch bei „Wie es euch gefällt“ mit.

Wann werden wir diese Diskussion nicht mehr führen müssen?

Hausmann: Ich glaube, dass die Biologie schneller ist als die Ideologie. Bei unseren Kindern und den nachfolgenden Generationen an Leuten, die Deutschland dann auffüllen müssen wegen des demografischen Wandels, wird sich das ausgehen. Ich bin manchmal wahnsinnig gelangweilt von der Diskussion, aber ich finde, sie ist absolut notwendig. Deswegen ist es richtig, dass das in einer Theaterzeitschrift zum Thema gemacht wird. Wir können hier nicht weltoffene Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften veranstalten und gleichzeitig im Kulturbetrieb total eingefahren sein.

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