Bürgerliche Indienstnahme des Theaters
Verbergen des Theaters
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Das verstärkte Interesse nicht nur an den Geschicken und den Besonderheiten des einzigartigen Individuums, sondern gerade auch an seiner inneren Verfasstheit, seinem geistigmoralischen Leben, seiner Seele, äußerte sich in einer neuakzentuierten Aufmerksamkeit für den Schauspieler, den Träger und Schöpfer der einzigartigen Bühnencharaktere. Es ging um die Wahrhaftigkeit, die Wahrheit, die Aufrichtigkeit, mit denen er und die Bühnendarstellung insgesamt alle Lebensäußerungen, gerade auch das ganze innere Leben der fiktiven Persona/Figuren sinnlich (re-)präsentierten. Der hegemoniale Diskurs der bürgerlichen Elite forderte für „zivilisiertes“ Theater die Erzeugung der Illusion, dass das Dargestellte das Reale, Wahre ist, und als der Maßstab, wie weit das gelingt, erschienen die Wucht und Tiefe der Einfühlung der Zuschauer in die Geschicke der fiktiven Charaktere, nicht zuletzt ihres Inneren, ihres geistig-gefühlsmäßigen Erlebens, korrespondierend mit den enormen emotionalen Wirkungen, die die sentimentalen Romane Richardsons und Rousseaus und Goethes WERTHER in großen Teilen Europas auslösten. Unabdingbar für die Herstellung der Illusion erschien weitaus fordernder als für die Erfüllung der dramaturgischen Wahrscheinlichkeit das Verbergen der Dialektik der theatralen Konstruktion, des beunruhigend Doppelseitigen der Darstellung, deren Realität zugleich ein Anderes zu sein vorstellt, besonders aber der „vertrackt doppeldeutigen Realität“ der Darstellerperson, die sich so verhält wie eine andere.
Foucaults Beobachtungen zum Ordnen der...