Theater der Zeit

Aus der Praxis

Theaterapparat, der (Stand jetzt)

Thilo Grawe im Gespräch mit Steven Gorecki

Was passiert eigentlich, wenn ich ein Scheinwerferkabel mit einer Axt durchtrenne?“, heißt es mit der Axt in der Hand. Im nächsten Moment fällt das Licht aus. Im übernächsten scheint es auf der Hinterbühne zu brennen – dann völliges Chaos: Feuerlöscher-Einsatz, Scheinwerfer, die von der Decke fallen und auf das Publikum zu schwingen, Notfalllampen leuchten auf, Wände fallen um, die Bühne bricht zusammen. Der Beitrag von Technik und Ausstattung zum Abschied von Brigitte Dethier als JES-Intendantin heißt „DAS WAR’S JES!“ und zeigt: dieser vermeintlich karge, schwarze Theaterraum kann mich mit seiner Technik also doch noch überraschen.

von Thilo Grawe und Steven Gorecki

Erschienen in: IXYPSILONZETT Jahrbuch 2023: laut & denken (01/2023)

Assoziationen: Praxiswissen Junges Ensemble Stuttgart Theater Junge Generation

Frederick die Maus, vorschlag:hammer, Duisburg 2021.
Frederick die Maus, vorschlag:hammer, Duisburg 2021.Foto: Paula Reissig

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THILO: Wie haben sich Theaterräume und Theatertechnik in den letzten Jahren verändert?

STEVEN: Das Grundprinzip der klassischen Theaterräume ist ein schwarzer Raum, der unsichtbar drum herum ist und der alle technischen Möglichkeiten bietet, um da was machen zu können. Darüber hinaus gibt’s natürlich genügend Räume, in denen man Theater spielen kann – das kann auch mal ein heller Raum sein, ein öffentlicher Platz, eine alte Fabrikhalle oder irgendwas. Es braucht wohl den schwarzen Theaterraum und da muss auch weiterhin was stattfinden, finde ich – und trotzdem kann gleichzeitig auch andernorts was anderes stattfinden. Vielleicht ist das auch old school, weiß ich nicht, aber dieser klassische Theaterraum hat, wenn du mich fragst, seine Berechtigung und wird die auch vorerst behalten. Ich bin jetzt über 20 Jahre im Theater und habe schon viele Wellen miterlebt – das Theater hat immer überlebt. Ich kann mich noch an einige Intendanz-Wechsel erinnern, bei denen gesagt wurde: „Wir erfinden jetzt das Theater neu und jetzt wird alles anders!“ Letztendlich war das vielleicht inhaltlich neu, aber die Technik an sich hat sich nicht groß verändert. Vielleicht ist das Spektrum breiter geworden: Es ist mehr Video geworden, mehr Tontechnik, mehr Beleuchtungstechnik – alles technischer. Und vom Bühnenbild her ist es auch moderner geworden – man nutzt jetzt modernere Architektur und andere Materialien.

THILO: Welche Herausforderungen sind damit verbunden?

STEVEN: Ja, die Herausforderung, die wir immer haben, ist ja, dass wir die künstlerischen Wünsche umsetzen müssen in einen laufenden Bühnenbetrieb, d.h. alles was auf der Bühne gewünscht ist; der Style, der gewünscht ist, muss in Theatertechnik übersetzt werden und dann im Repertoirespielbetrieb auch immer wieder reproduziert werden. Ich glaube das ist die große Aufgabe. Also diesen ganzen Entwurf in das Haus reinzukriegen – inklusive Aufbauzeit, Etat, Reproduzierbarkeit und Herstellung von dem Ganzen – und das wird immer schwieriger.

THILO: Im Angesicht der Debatten um Nachhaltigkeit möchte ich fragen, ob der Repertoirebetrieb nicht eigentlich unökonomisch ist? Müssten wir nicht eigentlich en suite spielen?

STEVEN: Das macht natürlich personell und damit auch finanziell einen großen Unterschied, ob ich den Bühnenaufbau täglich wechsle oder ihn stehen lassen kann. Für mich als Theatermensch, der das schon lange macht, ist der Wechsel und das Repertoire die Herausforderung, die dazugehört. Aber natürlich: wenn wir es drei Wochen stehen ließen, wäre das eine ganz andere Nummer. Diese gewünschte Abwechslung kostet den Theaterbetrieb einiges. Allerdings können heute mit nur einem Knopfdruck viel mehr Vorgänge gesteuert werden. Was früher drei Personen (Licht, Ton, Video) machen mussten, kann nun eine Software, ein Computer, den man im Vorfeld programmiert und der dann alle Cues automatisiert, also von alleine fährt. Im Wesentlichen ist so also viel mehr möglich, als zuvor zwei Techniker*innen-Hände alleine auslösen und steuern konnten.

THILO: Ich erinnere mich noch an das Bedürfnis der Technik, exakte Stichworte und Verabredungen zu haben, damit die Aufführungen meiner Inszenierungen gefahren werden können. Ohne diese festen Reihenfolgen könnten Inszenierungen und Aufführungen doch viel flexibler, interaktiver und vielleicht auch einzigartiger sein?!

STEVEN: Ganz klar, das kann ich auch begründen: Wenn du einen Techniker hast, der intensiv bei dieser Produktion dabei ist, und sich drauf einstellen kann, dann funktioniert das wunderbar. Sobald du aber einen Techniker hast, der dein Stück fährt, am nächsten Tag ein ganz anderes Stück fährt, oder vielleicht vier, fünf oder acht verschiedene Stücke zu fahren und einzurichten hat, braucht es die Aufzeichnungen auf nem Blatt Papier, wo klar ist: „Wenn dies passiert, muss ich jenes machen.“ Und immer bleibt die Nervosität, die du als Techniker*in ja auch hast, wenn du eine Vorstellung fährst, und dann brauchst du das Papier mit den strengen Abläufen drauf.

THILO: Wird das denn eine Arbeit für nervöse Menschen bleiben oder übernehmen irgendwann die Maschinen? STEVEN: Da gibt’s genügend Experimente, das auch maschinell zu machen, aber eine Maschine reagiert nicht auf einen Fehler auf der Bühne, sondern die fährt ab. Wir werden also weiter Techniker*innen brauchen, sonst läuft da nur ein Programm runter und du musst hoffen, dass es passt.

THILO: Technik wurde in den letzten Jahrzehnten stark demokratisiert. Wenn jetzt alle zuhause Heimkino, smarte Beleuchtung oder eine gute Tonanlage haben – welche Ansprüche werden dann im Umkehrschluss an das Theater gestellt?

STEVEN: LED-Fernseher zuhause in allerfeinster Qualität – und dann hast du hier plötzlich ein pixeliges Beamerbild – das fällt dir natürlich auf und dann kommt Langeweile auf. Deswegen muss bei allen Investitionen geschaut werden, wie man die Qualität weiter gewährleisten kann. Wir haben eine Veraltung innerhalb von 5–8 Jahren, wenn ich so zurückblicke. Also alle 8 Jahre werden die technischen Geräte überholt. Mit den alten Videogeräten können wir fast gar nichts mehr anfangen – weil die nicht mehr gut aussehen. Die Beamer, die wir 2012 in Produktionen benutzt haben – können wir mittlerweile nicht mal mehr im Studio benutzen, weil die Leute sagen: Was ist das denn für ein Bild?! Und auch für die Tontechnik gilt: Das Gehör verändert sich im Laufe der Zeit. Du musst also auf den neusten Stand gehen, weil sich die Gewohnheiten der (jungen) Zuschauer*innen ja ebenfalls ändern.

THILO: Mich beschäftigt, dass es mittlerweile so viele profilierte Kulturangebote neben dem Theater gibt, ich denke an hochästhetisierte Ausstellungsräume, die zum individuellen und immersiven Erkunden einladen (Dark Matter und The WOW! Gallery in Berlin, Supercandy in Köln) oder die Eventkultur mit (E-)Sportveranstaltungen und Fernseh-Shows, mit Publikum teils vor Ort, teils überall verteilt, sowie Konzerte in vollen Stadien und Auftritte in Wohnzimmeratmosphäre. Was kann das Theater dem noch entgegensetzen?

STEVEN: Ich glaube nicht, dass man da mithalten muss. Das wäre tatsächlich schwierig. Letztlich sind es andere Bedingungen und Möglichkeiten, die man in so einem Theaterhaus hat. Eine Ausstellung wird für 2 Monate eingerichtet und man hat einen entsprechenden finanziellen und personellen Aufwand, um einmal was hinzubauen, was dann mehrere Monate steht und nur noch gepflegt und gewartet wird.

Eine Maschine reagiert nicht auf einen Fehler auf der Bühne, sondern die fährt ab. Wir werden also weiter Techniker*innen brauchen, sonst läuft da nur ein Programm runter und du musst hoffen, dass es passt.

THILO: Anders gesagt: Ist die technische Entwicklung zu schnell für die Theaterstrukturen?

STEVEN: Ja, die technische Entwicklung ist schnell, aber ich glaube nicht zu schnell. Es bleibt natürlich immer die Frage, ob man das Mittel einsetzen muss, oder ob es nicht auch andere Mittel gibt; also ob man da überhaupt mithalten muss. Zu dem Zeitpunkt, bei dem wir uns eine Investition leisten können, greifen wir auf das zurück, was gerade aktuell ist, oder kaufen bewusst eine etwas ältere Version. Ich muss sagen, die LED-Scheinwerfer, die wir vor 8 Jahren geholt haben, können jetzt noch genutzt werden. Die Qualität und die Möglichkeiten der neueren LED-Scheinwerfer unterscheiden sich schon, das muss aber nicht heißen, dass man da etwas vermisst. Die LEDs sind derzeit (noch) wesentlich teurer – du kannst mit einem Faktor von 4 bis 7 rechnen. Und Glühlampen kaufen wir eigentlich nicht mehr nach, es sei denn, wir müssen ersetzen.

THILO: Das heißt aber, dass derzeit sowohl LED als auch Glühbirnen als Leuchtmittel im Einsatz sind. Warum?

STEVEN: Das ist meiner Meinung nach nochmal eine andere Art von Licht – ob ich eine Glühlampe oder eine LED habe, das bleibt was anderes! Ich glaube jedenfalls nicht, dass in naher Zukunft das konventionelle Licht komplett ersetzt wird durch LED – es sei denn, die Verfeinerung der Technik wird irgendwann so extrem, dass man tatsächlich keinen Unterschied mehr sieht. Aber ich glaube, im Moment werden die konventionellen Leuchtmittel noch gebraucht – Stand jetzt.

THILO: Ich wollte auch deshalb mit dir sprechen, weil du als Sachverständiger an den Planungen und der Konzeption für den Umbau des neuen Kinder- und Jugendtheaters im Zoogesellschaftshaus Frankfurt am Main beteiligt bist. Wie ist denn da der Stand?

Die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, ist eine stark begrenzte Ressource, die sich nicht vervielfältigen lässt. Ich glaube, dass wir dafür sorgen müssen, dass unsere Inszenierungen diesen einzigartigen Versammlungen gerecht werden müssen.

STEVEN: Der Stand jetzt ist, dass wir gerade im Übergang sind von dem Architekturwettbewerb zu den Ausschreibungen der einzelnen Fachplaner*innen – sprich Theatertechnik, Haustechnik, Klimatechnik, etc. – da werden Firmen gesucht. Und dann geht es konkret in die nähere Planung rein. Es geht um Bauen im Bestand. Das Gebäude gibt’s ja schon. Wie kann man daraus am besten ein Kinder- und Jugendtheater machen? Wie verteilt man die Räume? Wir haben ein Nutzungs- und Betriebskonzept erstellt, in dem schon steht, wie das Haus mal aussehen soll und was es können soll, aber natürlich nicht im Detail. Die konzeptionellen Schlagworte sind die Multifunktionalität der Räume und die Idee eines offenen Hauses. Multifunktionale Nutzung heißt, dass der Raum nicht nur eine Richtung hat, sondern für verschiedene Spielrichtungen und Aufführungsformate genutzt werden kann und dass dort bspw. auch Tanz stattfi nden kann. Und das gepaart mit einer mobilen Zuschauer*innentribüne – das war uns ganz wichtig, auch für die Zukunft. Bei den kleinen Bühnen gibt es ja ohnehin oft mobile Konzepte, aber auch die größeren Bühnen für 180 Personen sollten fl exibel bleiben. Grundsätzlich haben die großen Bühnen eine Zuganlage und eine Hub-Bühne, für Transporte in die Unterbühne – das soll einerseits als Lagerraum genutzt werden, aber andererseits auch szenisch für Auftritte oder ähnliches. Das kann ein Auftritt von unten sein oder die Möglichkeit, in die Tiefe zu bauen. Das hat für Bühnenbildentwürfe natürlich Vorteile. Und die Obermaschinerie wird es weiterhin geben müssen; Sachen von oben, etwas Fahrendes, in das ich die Beleuchtung oder Bühnendekoration reinbauen kann, das braucht es in den großen Räumen weiterhin. Dazu kommt noch eine moderne Beleuchtungsanlage und auch die Netzwerktechnik ist mittlerweile ein großes Thema. Und alles dann in einem möglichst personal- und ressourcensparenden laufenden Betrieb. Das gewinnende Architekturbüro hat dafür jedenfalls eine wundervolle Basis geschaffen.

THILO: Da bin ich ja gespannt.

Die Gedanken über den Theaterraum lassen mich nicht los. Der technische Apparat kann noch so innovativ sein, ganz ohne Menschen wäre er langweilig, denke ich. Das Chaos auf der JES Bühne war geplant, es hat sich genauso abgespielt, wie es programmiert und vorbereitet wurde. Es war Teil einer einmaligen Abschiedsfeier und konnte entsprechend verschwenderisch sein in seinen Mitteln, gerade weil es nicht wiederholbar sein musste. Wir Menschen haben uns technisch aufwendige Räume eingerichtet, in denen Theater stattfi nden soll. Das Theater ist historisch gewachsen, es hat feste Adressen bekommen – ist zu einem Ort geworden, der versucht, hochprofessionalisiert zu sein und sich an strenge Vorschriften und Abläufe halten muss. Die Grundverabredung kommt aber doch eigentlich ganz ohne diese Räume aus: Theater fi ndet sehr regelmäßig in Kinderzimmern statt, ohne dass Erwachsene davon mitbekommen oder es in Fachzeitschriften besprochen wird. Es fängt doch schon da an, wo ein Mensch einem anderen zuschaut. Dabei dürfen wir, glaube ich, zu keiner Zeit vergessen, dass das etwas Besonderes ist. Die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, ist eine stark begrenzte Ressource, die sich nicht vervielfältigen lässt. Auch wenn dieser Text mit der aufwendigen Bühnenshow begonnen hat, glaube ich, dass wir dafür sorgen müssen, dass sich in jeder Aufführung immer wieder auch etwas ganz anderes ereignen können muss; dass unsere Inszenierungen diesen einzigartigen Versammlungen gerecht werden müssen. Denn andernfalls – wenn ich also die perfekte Wiederholung anstrebe, dann könnte ich genauso gut einen Film drehen, den ich mir dann immer wieder anschauen kann, nicht wahr?

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