Auftritt
Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe: Spannung und lyrische Verletzlichkeit
„Ottone, Re di Germania“ von Georg Friedrich Händel – Musikalische Leitung Carlo Ipata, Regie Carlos Wagner, Bühne & Kostüme Christophe Ouvrard
von Georg Rudiger
Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Musiktheater Carlos Wagner Badisches Staatstheater Karlsruhe

Eine Prinzessin, die den Bräutigam verwechselt und sich gleich zweimal täuscht in ihrer Eifersucht. Ein Pirat, der sich am Ende als leiblicher Bruder entpuppt. Ein Intrigengewirr, das aus heiterem Himmel in einer Doppelhochzeit endet. Georg Friedrich Händels frühe, 1723 in London uraufgeführte Oper „Ottone, Re di Germania“, mit der die 45. Internationalen Händelfestspiele Karlsruhe eröffnet wurden, besticht nicht gerade durch ein dramaturgisch stimmiges Libretto. Die Hochzeit des deutschen Kaisers Otto II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu im Jahr 972 bildet den historischen Hintergrund der Oper. Auch die Feindschaft des italienischen Königshauses, vertreten von der Königswitwe Willa von Tuszien (hier Gismonda) und ihrem Sohn Adalbert II. (hier Adelberto), spielt in Händels Oper eine wichtige Rolle, um die Handlung hauruckartig voranzutreiben.
Regisseur Carlos Wagner möchte am Badischen Staatstheater Klarheit in das sechsköpfige Ensemble bringen, in dem er die Herkunft der Protagonisten durch die Farbe der aufwendigen Kostüme verdeutlicht. Schwarz steht für Deutschland (Ottone und seine Cousine Matilda), Weiß für Italien (Gismonda und Sohn Adelberto) und Gold für Byzanz (Teofane und Piratenbruder Emireno). Der wuchtige, schon etwas in die Jahre gekommene Palast hat drei Stockwerke – vom Folterkeller bis zum Thron mit Aussicht (Bühne und Kostüme: Christophe Ouvrard). Leider verliert sich das Kammerspiel auf der riesigen Bühne, die im Laufe des Abends aufbricht und den Blick in dunkle, bedrohliche Meereswellen eröffnet und auch eine Trümmerlandschaft zeigt. Dies spiegelt zwar die emotionalen Zustände der Figuren, bleibt aber doch zu unkonkret, um die Handlung zu verdichten. Zumindest szenisch hat der dreistündige Abend Längen.
Die nur mit Streichern, Fagotten, Oboen und einer erstklassigen Continuogruppe (Cello: Jonathan Pešek) besetzten Deutschen Händel-Solisten (Leitung: Carlo Ipata) zeichnen die große Emotionalität von Händels Musik mit einer breiten Farbpalette nach. Die Ouvertüre ist von Beginn an unter Spannung gesetzt. Die musikalisch reichen Vor- und Zwischenspiele der Arien erzählen von den wechselnden Gefühlen der Figuren. Den vielen ruhigen Arien wünscht man sich dennoch einen besseren musikalischen Fluss. Die tänzerischen Passagen haben Leichtigkeit und Charme. Der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko, der schon im Dezember am Opernhaus Zürich in der Titelrolle von Francesco Cavallis Oper „Eliogabalo“ glänzte, zeigt Ottone als vielschichtigen, eher nach innen gekehrten König durch seine lyrische, weiche Stimmgebung mit spannungsreichem Piano. Kraftmeierei liegt ihm fern, auch wenn Mynenkos mit voller Bruststimme gesungene Basstöne beeindrucken. Nach vielen Irrungen und Wirrungen bekommt Ottone am Ende doch seine Teofane, die in der lyrischen Interpretation von Lucía Martín-Cartón nach und nach an Profil gewinnt.
Die Drama Queen ist Lena Belkina als im weißen Reifrock auftretende, bleichgesichtige, Ränke schmiedende Gismonda. Auch wenn die Regie die Königswitwe holzschnittartig als weiß geschminkten Racheengel zeichnet und die Mezzosopranistin erst allmählich stimmlich fokussierter wird, beleben ihre präsenten Auftritte das ins Manierierte abdriftende Geschehen. Sonia Prina kann als wankelmütige Matilda nicht überzeugen, zu ungelenk klingen ihre Koloraturen. Auch intonatorisch gerät die Altistin hin und wieder aus der Spur. Ihre voluminöse Tiefe macht auf ihren stimmlich zart besaiteten Verlobten Adelberto (mit farbintensivem Countertenor: Raffaele Pe) aber Eindruck, so dass er nach Teofanes Täuschung und Entführung doch am Ende in den Hafen der Ehe mit Matilda schippert. Sein von Ottone gefangen genommener Komplize Emireno (klangschön: Nathanaël Tavernier) ist in Wirklichkeit Teofanes Bruder Basilio, der seine königliche Abstammung ernst nimmt und sich gleich mal auf einen der beiden Throne setzt.
Warum Matilda in der Opernmitte Gismonda, ihre Schwiegermutter in spe, intensiv auf den Mund küsst oder ihren Cousin Ottone sexähnlich besteigt, erschließt sich wahrscheinlich nur dem Regisseur. Auch das Synchrontänzchen der zotteligen Folterknechte überrascht in seiner ironischen Brechung in der ansonsten ganz unironisch erzählten Oper. Dem Premierenpublikum gefällts. Karlsruhe ist mal wieder im Händelfieber.
Erschienen am 1.3.2023