Theater der Zeit

Theaterpraxis zwischen Tradition und Zeitgenossenschaft

Theater und psychisches Trauma in Burundi

von Désiré Tuyishemeze

Erschienen in: Recherchen 157: Theater in Afrika II - Theaterpraktiken in Begegnung – Kooperation zwischen Togo, Burundi, Tansania und Deutschland (07/2020)

Assoziationen: Afrika

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In Burundi fanden zwischen 1965 und 2015 mehrfach gewaltsame Auseinandersetzungen statt, die unzählige Tote zur Folge hatten und ein kollektives Trauma der Bevölkerung auslösten. Viele Familien verloren Angehörige unter grausamen Bedingungen und ohne die Möglichkeit, sie in Würde beerdigen zu können. Viele Kinder erlebten, wie ihre Eltern, Großeltern oder Nachbarn brutal ermordet wurden. Die Menschen lebten in ständiger Angst. Der andauernde Krisenzustand führte zu massiven Konflikten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen des Landes, vor allem zwischen Hutu und Tutsi. Der desolate Zustand des Landes verhinderte eine Aufarbeitung der Trauer über Jahrzehnte hinweg. In den Kriegsjahren wurden Familien auseinandergerissen und soziale Netzwerke zerstört, dies führte zu einer tiefen Verstörung der burundischen Gesellschaft, die sich stark auf die psychische Gesundheit im Land auswirkt.

Die Konfliktparteien einigten sich im Vertrag von Arusha 2005 auf die Beendigung der Ausschreitungen und es entstanden erste Initiativen zur Aufarbeitung der Traumata. Diese Aufarbeitung bedarf kreativer und innovativer Lösungsansätze.

In Burundi spielt deshalb das Theater als Bewältigungskatalysator eine sehr wichtige Rolle, da traditionell westlich inspirierte Psychotherapien im afrikanischen Kontext unzulänglich sind. In der burundischen Kultur ist es nicht üblich, über Gefühle zu sprechen. Traumatisierte Personen haben häufig Angst vor der Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen, sie scheuen sich vor Konflikten. Das Theater bietet hingegen eine Möglichkeit, die unsichtbaren psychischen Erkrankungen überhaupt erst zu verbalisieren, und kann Dialogräume eröffnen, um soziale Beziehungen zu rehabilitieren.

Das Konzept des Forumtheaters als Therapieansatz für psychische Traumata

In Burundi gibt es mehrere Theatergruppen, die sich auf die Bewältigung des kollektiven Traumas spezialisiert haben. Sie helfen Einzelpersonen und Gemeinschaften, ihr Leid und die verschiedenen Formen der Unterdrückung zu verbalisieren und auf der Bühne zu repräsentieren. Gerade das Konzept des Forumtheaters erscheint vielversprechend, da es durch seine partizipative Form Menschen die Möglichkeit bietet, aktiv über ihr Leid zu sprechen, um damit zur Heilung beizutragen. Die Bühne wird zu einem Ort der Begegnung und des Dialogs. Das Theater bringt die Menschen der verschiedenen Communitys durch das Schauspiel zusammen und ermöglicht ihnen, ihre Wut, ihr Leid sowie ihre Ängste auszudrücken. Es dient hier als Plattform, um sich Individuen anzunähern, deren ethnische und soziale Zugehörigkeiten sie jahrzehntelang zu Feinden machten. Das Theater ermöglicht die Aussprache und Reflexion der eigenen Gefühle in einem Raum, der frei von gesellschaftlichen Zwängen ist, und bietet einen produktiven Umgang mit Konflikten, der den Kern des Theaterspielens darstellt.

Diese Methode zur Traumabewältigung hat sich in Burundi bereits bewährt. Zahlreiche Teilnehmer*innen der Theaterprojekte bestätigen den positiven Einfluss auf bestehende Traumata. Die Menschen können durch das Theater ihre Gefühle auf einer symbolischen Ebene in einem Narrativ ausdrücken, ohne Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung. Das Theater hilft nicht nur, den Heilungsprozess einzuleiten, sondern auch gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederherzustellen. Die gesellschaftliche Relevanz der Theaterprojekte ist daher unbestritten.

In Bujumbura, der größten Stadt Burundis, gibt es bereits mehrere Theatergruppen, aber die anderen Regionen des Landes haben keinen Zugriff auf die Arbeit solcher Initiativen. Dabei sollte Theater als Instrument der Versöhnung und der Aufarbeitung von Traumata allen Menschen zugänglich gemacht werden, da es einen Beitrag zur Lösung der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Konflikte in der Bevölkerung leistet. Besonders die psychotherapeutische Wirkung ist hervorzuheben, insbesondere für die burundische Gesellschaft, in der zahlreiche Traumata verdrängt wurden.

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