Theater der Zeit

Bericht

Fassungslosigkeit und Hoffnung

Das Circus Dance Festival in Köln versteht Hoffnung in Zeiten drastischer Kürzungen als eine Praxis

Die Kürzungen im Kulturhaushalt in NRW schockieren Akteur:innen der Freie Szene, die drastischen Kürzungen drohen vor allem, die Aufbauarbeiten im noch jungen Genre des zeitgenössischen Zirkus zu beschädigen. Eine Bestandsaufnahme beim Circus Dance Festival in Köln.

von Tom Mustroph

Assoziationen: Zirkus Dossier: Festivals Tim Behren Jenny Patschovsky

„Ceramic Circus“ von Julian Vogel beim Circus Dance Festival. Foto Jona Harnischmacher
„Ceramic Circus“ von Julian Vogel beim Circus Dance FestivalFoto: Jona Harnischmacher

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Keramikteller rotieren auf vibrierenden Metallstäben. Gleich sechs dieser Stangen hat der Schweizer Jongleur Julian Vogel in einem der runden Festivalzelte von Circus Dance Festival 2025 installiert. Er hetzt von einer Stange zur anderen, weil die Teller immer wieder zu fallen drohen. Während er schweißgebadet von einer Rotationsanlage zur anderen rennt, baut er auch noch ein Arrangement von kleinen Elektromotoren auf. Die sollen die Stangen mechanisch zum Vibrieren bringen – und die Teller dadurch waagerecht in der Luft halten. Das gelingt zunächst. Etwas Ruhe stellt sich ein, als die ersten Motoren surren. Doch die kleinen Maschinen bringen nicht dauerhaft genug Feingefühl auf, um die Teller in der Luft zu halten. Einer nach dem anderen purzelt herunter und zerscheppert, während eine große Keramikkugel knapp über ihnen drohend durch die Luft saust.

Vogels „Ceramic Circus“ könnte ein Auftragswerk des Festivals sein, so perfekt passt diese feine Inszenierung von Bedrohungs- und Überforderungsszenarien auf die aktuelle Situation der Freien Darstellenden Künste in NRW. Dort kommt zum klassischen Multitasking zwischen künstlerischer Arbeit, Projektantragstätigkeit, Lobbying und, ja, auch Privatleben, noch die jüngste Kürzungsorgie durch das Kultusministerium. Im Gegensatz zu Berlin ist hier nicht der Kulturhaushalt in Gänze eingestrichen.

Kürzungen von mehr als 50 Prozent in den mehrjährigen Programmen

Aber die Förderungen für den freien Bereich werden trotz in etwa gleich gebliebenem Gesamtetat massiv zurückgefahren. Betroffen sind vor allem die mehrjährigen Programme, die in den letzten Jahren für beachtliche Stabilität gesorgt hatten. Statt bislang drei Plätzen in der Exzellenzförderung (je 100.000 Euro pro Jahr) und acht Plätzen in der Spitzenförderung (je 80.000 Euro pro Jahr) sollen nun nur noch zwei Plätze in der Exzellenzförderung und vier Plätze in der Spitzenförderung vergeben werden. Das jährliche Gesamtbudget sinkt damit von 940.000 Euro auf 520.000 Euro. Im Bereich Kinder- und Jugendtheater sollen die Mittel für die bislang sechs Positionen der Spitzenförderung (jeweils 80.000 Euro pro Jahr) ebenfalls halbiert werden. Die Hälfte des Rests soll außerdem an institutionell geförderte Häuser des Kinder- und Jugendtheaters gehen. Hier bleibt also nur noch ein Viertel für die freien Gruppen übrig.

Für weitere Verunsicherung sorgt, dass für die Konzeptionsförderung, in der derzeit 35 Künstler:innen, Gruppen und Ensembles mit maximal 40.000 Euro über drei Jahre unterstützt werden und die im Dezember diesen Jahres ausläuft, noch keine neue Ausschreibung für den nächsten Dreijahreszyklus erfolgte und nicht einmal bekannt ist, ob und in welcher Form sie den tanzenden Rotstift überlebt. Die Kulturmanagerin Mechtild Tellmann befürchtet zunehmenden Druck auf alle Förderebenen, wenn einst Exzellenz-geförderte Gruppen nun auch um die geringer dotierte Spitzenförderung konkurrieren müssen und Gruppen aus der Spitzenförderung in die Konzeptionsförderung rutschen, was  neueren und jüngeren Gruppen wiederum den Zugang zur Förderung erschwert. „Das Schlimme ist: Es gibt momentan keine Form der Kommunikation mit dem Ministerium. Man hat den Eindruck, als ob die Ministerin all ihren Mitarbeitern einen Maulkorb verpasst hat“, klagt Tellmann. Sie ist eine Multi-Gründerin im Kölner Kulturbetrieb und verantwortet unter anderem gemeinsam mit Tim Behren das Circus Dance Festival. „Wir sind an einem Punkt, an dem die gesamte Förderarchitektur bedroht ist“, warnt sie.

Weiterer Kahlschlag in der Infrastruktur

Das NRW-Fördersystem ist mit seinen vielen ineinandergreifenden Komponenten tatsächlich bemerkenswert. „Viele Menschen haben dafür gekämpft, sowohl die Freie Szene wie auch Politikerinnen und Politiker“, sagt Tellmann. Jetzt aber werden auch kleinere Netzwerkstrukturen wie der IDAS (International Dance Artist Service), der mit jährlich 180.000 Euro Reisekosten für Gastspiele sowie Fortbildungen bezuschusste, eingestellt. Und beim Projektbüro Neue Künste Ruhr, das sich in den vergangenen Jahren besonders für die Entwicklung des Zeitgenössischen Zirkus in der Region eingesetzt hatte und dessen ambitioniertes Langfristziel der Aufbau einer Zirkushochschule ist, wird mehr als die Hälfte der Stellen gestrichen. „Wir haben erst einmal alle die Kündigung erhalten. Es soll dann ein neues Programmbüro mit vielleicht anderthalb Stellen geschaffen werden“, sagt Jenny Patschovsky, selbst Luftartistin und Mitbegründerin des Bundesverbands für Zeitgenössischen Zirkus, BUZZ, im Gespräch. „Unsere Befürchtung ist, dass unsere Netzwerkarbeit nicht weiter gemacht wird, diese Akquise und Aufklärungsarbeit für den Zeitgenössischen Zirkus.“ Für Patschovsky ist das besonders ärgerlich, weil gerade in den letzten Jahren viele neue Partner für den Zeitgenössischen Zirkus gewonnen werden konnten: „Wir haben mittlerweile die Stiftung Zollverein nah an uns dran. Das Schauspiel Dortmund ist immer wieder interessiert, ebenso das Grillo-Theater Essen. Viele städtische Einrichtungen sind auf uns aufmerksam geworden. Jetzt wäre der Moment, wo man richtig losmachen könnte mit Veranstaltungen und wirklichen Kooperationen. Und dann passiert das.“

Hoffnung als tätige Praxis

Von Resignation ist auf dem Festivalgelände von Circus Dance verblüffenderweise aber wenig zu spüren. Auch Patschovsky wirkt fröhlich, will sich trotz aktueller Entlassung auf eine der neuen Stellen im verkleinerten Programmbüro von Neue Künste Ruhr bewerben. Behren und Tellmann haben ihr Festival auch mit dem Motto „Hoffnung ist kein Zustand, sondern eine Praxis“ überschrieben. Circus Dance fällt in diesem Jahr zwar kleiner aus als gewohnt, was auch Julian Vogel registriert hat. 2022, als er seine famose Installation „China Series“ präsentierte, dauerte das Festival noch fünf Tage, 2023 waren es sogar zehn. „Wir haben es in diesem Jahr kompakt gehalten, einfach um sicher zu gehen, dass wir dieses Schiff des Festivals gut durch die nächsten schwierigen Zeiten navigiert bekommen“, meint Behren trocken. Und wenn an einem Ende etwas wegbricht – im Falle des Festivals waren es mal nicht Landes-, sondern Bundesmittel – dann kommt von anderer Seite etwas dazu, erzählt Festivalgründer und Künstlerischer Leiter Tim Behren: „Wir sind jetzt mit dem Internationalen Netzwerk für professionelle Zirkusschulen FEDEC eine zweijährige Kooperation eingegangen. In diesem Kontext fand die vom Programm Creative Europe der Europäischen Kommission kofinanzierte Konferenz über psychische Gesundheit und Wohlbefinden im Zirkus- und Performing Arts-Sektor statt. Bei FEDEC sind zwischen 80 und 90 Zirkusschulen organisiert“, sagt Behren. Und genau daraus schöpft er Zuversicht auch in schwierigen Zeiten: „Viele Partner, die wir sonst von anderen Festivals kennen, sind jetzt bei uns. Sie sehen: Hier finden einfach durchdacht Dinge statt, viel Diskurs, viele Publikationen. Da gibt es ganz viel Potenzial für weitere Europaprojekte.“

Auch deshalb passt das Festivalmotto „Hoffnung ist kein Zustand, sondern eine Praxis“ perfekt. Hier arbeitet man an der Praxis Hoffnung. Auch die Schlagkraft der Szene insgesamt ist nicht zu unterschätzen. Eine sich spontan gegründet habende Task Force, die sich wöchentlich per Zoom trifft, konnte in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren erreichen, dass den Exzellenz- und Spitzen-geförderten Ensembles, deren Förderzyklus Mitte dieses Jahres auslaufen wird, eine Verlängerung bis Ende des Jahres, also 50.000 bzw. 40.000 Euro zusätzlich, gewährt wird. Kämpfen lohnt sich, damit Hoffnungen auch Realität werden.

Erschienen am 10.6.2025

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