Denkzeichen. Essays für eine Zukunft der Volksbühne
Warten auf den Neuerer
Erschienen in: Theater der Zeit: Vorsicht Volksbühne! – Das Theater. Die Stadt. Das Publikum. (08/2018)
Assoziationen: Berlin
Als – es ist siebenundzwanzig Jahre her – unter dem Vorsitz von Ivan Nagel vier Fachleute der Theaterkritik und -wissenschaft zusammengerufen wurden, um die staatlich finanzierte Theaterlandschaft des vereinigten Berlin zu analysieren und Vorschläge für ihre Neuordnung zu machen, machte die Zukunft der Volksbühne die wenigste Arbeit: Wer anders als Frank Castorf, der zu dieser Zeit am Deutschen Theater einen fruchtbaren Gegenpol zu der Regiearbeit sowohl Heiner Müllers wie Thomas Langhoffs bildete und in dem Haus am Luxemburgplatz eine lustvoll-raumgreifende Arbeit vorgelegt hatte, kam dafür in Frage! Das Votum war einhellig, aber Ivan Nagels Sorge um seine politisch-mediale Durchsetzbarkeit war so groß, dass er dem künftigen Intendanten eine phantastische Prognose stellte, mit dem Satz, das so formierte Theater werde in drei Jahren „entweder berühmt oder tot“ sein. Castorf entschied sich für das Erstere und setzte einer politisch wie medial hochideologisierten Gesamtszenerie (Vorsprecher des Westens faselten angesichts des jäh über diesen hereingebrochenen weltpolitischen Triumphs vom Ende der Geschichte und glaubten sich, wie einst Walter Ulbricht, im Vorhof der realisierten Utopie angekommen) sein anarchisch-subversives Großraumtheater entgegen, nicht ohne sich eines Mitstreiters von konträrem Temperament zu versichern: des Schweizers Christoph Marthaler. Ein Vierteljahrhundert später und nach einer im deutschen Theater noch nicht dagewesenen...