Gespräch
Was macht das Theater, Bernhard Stengele?
Im Gespräch mit Michael Helbing
von Michael Helbing und Bernhard Stengele
Erschienen in: Theater der Zeit: Neue Dramatik (03/2023)
Assoziationen: Akteure Dossier: Was macht das Theater...?
Es heißt, Helmut Schmidt hätte als Politiker im Laufe des Lebens schauspielerische Fähigkeiten entfaltet. Wann entfalteten sich ihre politischen Fähigkeiten als Schauspieler und Regisseur?
BS: Politik hat mich immer schon intensiv beschäftigt. Als Künstler habe ich mich aber gescheut, mich parteipolitisch zu betätigen. In den letzten fünfzehn Jahren, vor allem aber seit 2012 in Ostthüringen wurde auch meine Theaterarbeit zunehmend politischer. Themen wie Migration oder Diversität interessierten mich. 2015/16 eskalierte das in Altenburg allerdings, die internationale Arbeit war immer schwieriger umzusetzen. Nachdem sie zu einem zwar guten, aber eben doch einem Ende kam, wusste ich: Ich muss was Neues machen. Jetzt bin ich seit drei Jahren Berufspolitiker.
Sie hatten in Altenburg Schauspieler aus Griechenland, der Türkei und Burkina Faso im Ensemble, die es in der Stadt mit Alltagsrassismus zu tun bekamen. Und Sie haben internationale Kooperationen gewagt. Was ist politisches Theater für Sie?
BS: Wenn man genau hinschaut, was die Zeit erfordert, und das dann ohne Rücksicht auf Popularität umsetzt. – Das war jetzt ein erster Versuch der Definition. Ich habe nicht so viel über Definitionen nachgedacht und taste mich da jetzt ran. – Der Unterschied zur Politik ist, dass politisches Theater die individuelle Situation aufsucht und aus dem Erleben einzelner Menschen heraus das große Ganze darstellt, differenziert und vielschichtig. – Ich wäre allerdings ohne Ostthüringen nicht so politisch geworden. Schon in Würzburg arbeitete ich mit Burkina Faso zusammen. Dort war das die Kirsche auf der Torte, die Leute fanden das cool. In Altenburg-Gera bekam das eine große politische Relevanz.
Welche Art von Inszenierung erleben Sie in der Politik?
BS: Ich bin überrascht darüber, wie hoch die Anforderungen sind, sich als Politiker selbst ins Zentrum zu stellen. Dieser Anspruch, ständig in allen sogenannten sozialen Medien präsent zu sein, hat mich wirklich verblüfft: Die Selbstdarstellung oder sagen wir Personalisierung nimmt einen großen Teil der Arbeit ein. Aber auch Schauspieler müssen sich inzwischen ständig selbst vermarkten.
Inwiefern ist der Politiker Stengele eine Rolle? Wie viel Authentizität können Sie sich leisten?
BS: In der Kunst geht es darum, das Richtige zu tun, also seinen inneren Ausdruck zu finden. In der Politik gibt es ein Kriterium, das fast noch wichtiger ist: nichts falsch zu machen. Also keine Angriffsflächen zu bieten. Das führt zu einer Vorsicht, die mir neu war. In der Kunst gefällt den Leuten die eigene Arbeit einfach oder sie gefällt ihnen eben nicht.
Ihr Projekt einer internationalen, mehrsprachigen Schauspielschule in Thüringen, auch mit Partnern in Griechenland, der Türkei und Burkina Faso, hat es 2019 ins Wahlprogramm der Grünen geschafft. Was wurde daraus?
BS: Durch die komplizierte Bildung einer Minderheitsregierung und durch Corona wurde das schwierig. Dass darstellende Künste die Entwicklung, sich international mehr zu vernetzen, stärker aufgreifen, finde ich weiterhin richtig und wichtig. Das war ja die Idee: eine Ausbildung für Menschen aus verschiedenen Ländern in mehreren Ländern anzubieten, auf mehreren Kontinenten sogar, wo es oft komplett andere Anforderungen an Darsteller gibt. Das ist ein reizvolles Projekt, um das ich mich nur jetzt gerade nicht kümmern kann.
Werden Sie das Theater nicht doch bald vermissen?
BS: Interessant, dass Sie das fragen! Ich habe kurz vor meiner Vereidigung wahnsinnig intensiv davon geträumt, obwohl ich nicht oft träume. Allerdings habe ich nicht das Gefühl, irgendetwas nicht getan zu haben. Ich habe dreißig Jahre lang in einem Bereich mit hoher intrinsischer Motivation gearbeitet. Und das ist und bleibt für mich Heimat: die Begegnung mit anderen Künstlern.