Theater der Zeit

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Auftritt

Double Edge Theatre (USA): Zaubertheater

„Leonora, la maga y la maestra“ von Stacy Klein zusammen mit Jennifer Johnson und Carlos Uriona, Bühne Stacy Klein, Kostüme Tadea Klein, Musik Alexander Bakshi

von Thomas Irmer

Assoziationen: Nordamerika Theaterkritiken Double Edge Theatre

„Leonora, la maga y la maestra“ über die mexikanische Künstlerin Leonora Carrington. Foto Maria Baranova-Suzuki
„Leonora, la maga y la maestra“ über die mexikanische Künstlerin Leonora Carrington.Foto: Maria Baranova-Suzuki

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Das Double Edge Theatre aus Massachusetts kommt erstmals wieder nach Europa – das Gastspiel in der Nähe von Szczecin zeigt ein Stück über die mexikanische Surrealistin Leonora Carrington. Im Mittelpunkt der ersten Szenen steht ein Ei mit geheimem Wissen, behütet von Leonora, die zu spirituellen Gesängen ihrem Schüler Adán aus Tarot-Karten weissagt. Das ist zwar nur ein kleiner Teil der Handlung von „Leonora, la maga y la maestra“ (die Zauberin und die Lehrerin), der durchaus etwas Okkultes hat und in dem Kunst und Magie verschmelzen. Im Ganzen folgt die von Stacy Klein aus einem – für Double Edge typisch – ausgedehnten Probenprozess heraus entwickelte Performance der Erkundung einer wichtigen Künstlerin, die seit ihrer Wiederentdeckung vor wenigen Jahren zu einem internationalen Phänomen geworden ist.

Leonora Carrington wurde 1917 in England geboren und fand früh Anschluss in den Kreisen der französischen Surrealisten. Einer Beziehung mit Max Ernst folgte 1942 die Emigration nach Mexiko, wo sie ihr vielfältiges Werk aus Malerei, Skulpturen und Literatur mit der Aufnahme von Elementen des gerade aufkommenden Magischen Realismus Lateinamerikas weiterentwickelte. Als sie 2011 hochbetagt in Mexico City starb, konnte sie sich der Anerkennung in ihrer Wahlheimat sicher sein, wo sie zum Beispiel 1963 das riesige Wandgemälde „Die magische Welt der Maya“ am Museum für Anthropologie schuf. Eine größere internationale Wirkung Carringtons entfaltet sich gerade postum. Ein wichtiges Ereignis dabei war, dass die 59. Biennale Venedig im vergangenen Jahr ihr Motto „The Milk of Dreams“ dem Titel eines Kinderbuchs von Carrington entlehnte und diese damit in den Fokus der Weltausstellung rückte.           

Da war Stacy Kleins musikalisch-surreale Performance über die Welt der Leonora Carrington schon fertig – und damit auch ein Beispiel dafür, dass sich ganz verschiedene Kreise für diese Künstlerin zu interessieren begannen. Andererseits sind assoziative Künstlerporträts seit langem eine Spezialität des 1982 in Boston gegründeten Double Edge Theatre, das seit Mitte der 1990er Jahre seinen Hauptsitz samt Spielstätte, Studios und einem weitläufigen Areal für Freilufttheater in einer alten Milchfarm im ländlichen Ashfield in Massachusetts unterhält. Hier entstanden schon Stücke über den polnischen Schriftsteller und Künstler Bruno Schulz („Republic of Dreams“ 2007) und den Maler Marc Chagall („The Grand Parade“ 2013). Die Wahl dieser Künstler, mehr noch aber der Stil der Aufführungen verrät Stacy Kleins Bekenntnis zu ihren polnischen Theaterwurzeln. Ende der 1970er Jahre ging sie als Doktorandin nach Polen, um die Arbeiten von Jerzy Grotowski und Tadeusz Kantor kennenzulernen und bei Rena Mirecka zu studieren. Diese Begegnungen wurden zum Fundament ihrer Theaterästhetik, die sich allerdings erst auf der Farm richtig entfalten konnte. Von Grotowski und Mirecka übernahm sie die speziellen Methoden für langfristige Schauspielerimprovisationen, die schließlich in eine hochdisziplinierte Form der Figurenentwicklung münden. Von Kantor kommt ganz offensichtlich Kleins hervorragend ausgeprägtes Gespür für – wie auch in „Leonora“ – traumhaft intensiv bewegte Bilder in einer geradezu hypnotischen Dramaturgie. Last but not least, mag sie durch das polnische Theaterlabor in Gardzienice die Überzeugung gewonnen haben, dass Laboratoriumstheater abseits der großen Metropolen möglich ist, auch in Amerika.

Wegen der Pandemie konnte „Leonora“ lange nicht reisen, doch nun kommt sie an das Teatr Brama in Goleniow, einer Bühne, die Traditionslinien von Grotowski und Kantor verpflichtet ist, was zumindest den ungewöhnlichen Gastspielort erklärt.

Der von Jennifer Johnson dargestellten Zauberin steht als Schüler Adán ein weiterer Künstler des lateinamerikanischen Surrealismus gegenüber: der chilenische Filmemacher und Schriftsteller Alejandro Jodorowsky, der ähnlich wie Carrington in Europa lange ein Geheimtipp blieb und vor allem über seine verrätselten Filme rezipiert wurde. Dargestellt wird er von dem aus Argentinien stammenden Ko-Direktor des Double Edge Theatre, Carlos Uriona. Ein Jahrhundert-Duo in einer vor allem auch durch die Musik von Alexander und Ludmila Bakshi geprägten Performance.    

Am 3. und 4. Juni im Teatr Brama in Goleniow bei Szczecin,

am 8. und 9. Juni beim PIT Festival in Porsgrunn, Norwegen

Erschienen am 30.5.2023

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