Auftritt
Schlosstheater Moers: Niemand spricht die Sprache des Friedens
„Der Frieden“ nach Aristophanes und Antoine Vitez – Regie Daniel Kunze, Bühne und Kostüme Sophie Leypold, Musik Peter Winking
von Stefan Keim
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Schlosstheater Moers

Die Bühne ist mit Erde angefüllt. Wenn man vorne sitzt, riecht man das auch. Darauf steht ein Kiosk, auf dem mit antik anmutenden Lettern „Weinverkostung“ steht. Oder stehen sollte, das „s“ ist irgendwie abgefallen. „Trinken wir noch einen?“, fragt Weinbauer Trygaios unter einem mit Folien abgeklebten Himmel und seine herumlungernde Familie hält die Gläser hin. Seit vielen Jahren herrscht Krieg zwischen Athen und Sparta, der „peloponnesische“, wie ihn die Geschichtsschreibung später nennen wird. Kein Ende ist in Sicht. Und nun hat Trygaios genug davon, das Elend durch Saufen und Singen (immerhin ein Chor von Henry Purcell, sehr schön vom Ensemble intoniert) zu vergessen. Es klappt nämlich nicht mehr. Er fliegt auf einem Mistkäfer zum Olymp, um sich bei den Göttern zu beschweren.
Die Komödie „Der Frieden“ von Aristophanes entstand während des peloponnesischen Krieges und hat 421 vor Christus die Mülheimer Stücke-Tage gewonnen. Oder genauer deren griechisches Äquivalent, die Dionysien in Athen. Ich bitte um Verzeihung für diesen kleinen Scherz, denn so ähnlich arbeitet auch Daniel Kunzes Inszenierung am Schlosstheater Moers. Sie behält die Grundstruktur der antiken Komödie bei, benutzt aber eine Neufassung von Antoine Vitez aus den 1960er Jahren und hat sie noch einmal überarbeitet. Aristophanes hat die Aufführung bei den Dionysien mit tagesaktuellen Pointen gespickt. Perikles und viele andere bekamen ihr Fett weg und zwar in their faces, sie saßen im Publikum, weil sich das damals so gehörte.
Kriegstreiber, deren Namen mit P anfangen, stünden heute auch zur Verfügung. Aber so einfach machen sich die Moerser die Sache nicht. Bei allem Spaß an Satire und körperbetontem Spiel behält die Aufführung eine allgemeingültige, philosophische Ebene. Herrlich taumelt Rose Lohmann als dauerbedröhnter Götterbote Hermes über den Olymp. Und verkündet dem gerade angekommenen Trygaios, dass sich die anderen Götter in höhere Höhen zurückgezogen haben. Weil ihnen die Menschen nur noch auf den Geist gehen und sie den Leichengestank nicht ertragen. Einzig Polemos – einer der heute weniger populären griechischen Götter und bei Aristophanes die Personifikation des Krieges – ist übriggeblieben und will die Menschen in einem riesigen Mörser zermalmen. Ein schöner Scherz angesichts des Moerser Publikums, steht aber schon im Original.
Polemos hat den Frieden verbuddelt, und Hermes kennt den Ort – direkt im Garten des Weinbauern. Hoffnungsvoll reist Trygaios zurück, und wahrhaftig gelingt es, den Frieden auszugraben. Catherine Elsen spielt ihn als traumatisierte junge Frau im Nachthemd, die starr vor sich hinblickt. Niemandem gelingt es, eine Sprache zu finden, um mit dem Frieden zu kommunizieren. Und schnell tauchen Waffenhändler:innen und Diplomat:innen auf, die ihre eigenen Interessen verfolgen.
Hier hält Daniel Kunzes Inszenierung nicht mehr das sehr hohe Niveau der ersten Stunde. Aber der neue Ko-Intendant des Schlosstheaters Moers bringt das Stück unterhaltsam zu Ende. Durchweg begeistert das neue Ensemble, das Kunze und Jakob Arnold – das neue Leitungsteam in Moers – engagiert haben. Das Zusammenspiel funktioniert großartig, Clara Pinheiro Walla ist sehr witzig im direkten Kontakt mit dem Publikum, Florian Kager gibt dem vertrottelten Sohn des Weinbauern bei aller Komik sympathische Glaubwürdigkeit. Und Matthias Heße als einziger Verbliebener des großartigen Ensembles von Ulrich Greb überragt mit feiner Komik, ehrlichem Entsetzen und dem verzweifelten Willen, einen Krieg zu beenden.
„Radikale Zeitgenossenschaft“ haben Daniel Kunze und Jakob Arnold als Motto ihrer Intendanz ausgegeben. Mit einem der ältesten Stücke zu beginnen, das man überhaupt noch aufführen kann, wirkt wie ein Widerspruch. Ist es aber nicht, denn es gibt kaum einen aktuelleren Bühnentext als den „Frieden“ von Aristophanes. Zumindest wenn man ihn so inszeniert wie Daniel Kunze – voller Respekt vor dem Original. Was eben nicht Musealisierung bedeutet, sondern den Versuch, die Wirkung beim Publikum zu erzielen, die Aristophanes sich vorgestellt hat – ein provozierendes Plädoyer für einen vielleicht unerreichbaren Frieden.
Erschienen am 27.10.2025

















