Das ästhetische Interesse
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Die weitgehende Symbolik der lebensweltlichen und systemischen Vorgänge vormoderner Gesellschaften dürfte gleichsam zur Ausbildung und Ausdifferenzierung des Phänomens Theater als ein besonderes künstlerisch-kulturelles Feld (Pierre Bourdieu) „gedrängt“ haben. Poetizität ist nach Roman Jakobson grundsätzlich eine Komponente des Sprechens (der Sprache) in allen möglichen historischen Kontexten.71 Unter bestimmten Bedingungen werde diese Funktion dominant. Sprache oder Sprechen verdichtet sich gleichsam zu ausdifferenzierter Poesie oder allgemeiner zu dichterisch kreativer Literatur. Das könnte sinngemäß auch für Theatralität gelten. In den ästhetisch dominanten, vorwiegend professionell betriebenen Tätigkeiten, die wir heute als Theater(-künste) ansehen und begreifen, wird das theatrale Machen eines Vorgangs spezifisch als solches herausgehoben und so wahrgenommen. Das Theatrale erscheint gleichsam verdichtet.
Kunst wird hier verstanden als ein Können, wie Bertolt Brecht, ein Moment der deutschen Sprache glücklich nutzend, in den MESSINGKAUF-Bruchstücken bündig feststellte.72 Es wäre hinzufügen: ein spezifisch ausgestelltes und auch besonders wahrgenommenes Können. Oder auch: Kunst könnte der historisch veränderliche Prozess des Produzierens, Vermittelns und des sinnlich-geistigen Verarbeitens (Rezipierens) von Zeichenkomplexen sein, der jeweils durch ein besonderes (ästhetisches) Interesse an den Zeichengestalten und in diesem Sinne an dem So-und-nicht-anders-Machen bzw. -Sein der Gestalten bestimmt wird.73 Vormoderne Gesellschaften, die, fast notwendig, un-problematisiert theatral verkehrten, in denen der...