Wenn man nur lange genug hinschaut, werden aus dem einen Bild viele. Ein Spektrum des 20. Jahrhunderts: Klassenkampf, Weltkrieg, Emigration, Lagerhaft, Funktionärskarriere in der DDR. Und dabei dennoch immer nur die eine Familiengeschichte. Zerfällt das Bild so unaufhaltsam wie die Familie Powileit – sie ist das literarische Pendant zu Eugen Ruges Familie – oder multipliziert es sich nach eigenen Gesetzen und statt der einen gelebten scheinen plötzlich viele ungelebte Wahrheiten auf?
Es gibt keine einfachen Wahrheiten. Alles ist und bleibt kompliziert, das jedenfalls steht fest am Ende dieser groß angelegten Romandramatisierung, in der Weltbilder ins Nichts stürzen. Es gibt auch keine einfache Scheidung von Opfern und Tätern. Wenn nur genug Zeit vergeht, dann wechseln unaufhaltsam die Rollen – es wird unüberschaubar, und jedes schnelle Urteil lügt.
Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ nimmt sich in der vom Autor selbst erarbeiteten Bühnenfassung aus wie die „Buddenbrooks“ in Zeiten des Klassenkampfes: der Zerfall einer fortschrittsgläubigen Familie. Die Großeltern Wilhelm und Charlotte (Christian Grashof und Gabriele Heinz): zwei Parteisoldaten ohne Wenn und Aber. Im mexikanischen Exil haben sie von ihrem Sohn Kurt (Bernd Stempel) und seinem Bruder in der Sowjetunion seit Jahren nichts gehört. Kein Wunder, Kurt ist im Arbeitslager und...