Auftritt
Schauspiel Erlangen: Im Theater der Transzendenz
„Beyond. Wie Licht entsteht“von Andreas Schäfer (UA) – Regie Jonas Knecht, Laser Artist Bahadir Hamdemir, Komposition & Sounddesign Rafał Stachowiak, Dramaturgie Linda Best, Albrecht Ziepert
von Michael Helbing
Assoziationen: Bayern Theaterkritiken Jonas Knecht Theater Erlangen
Die Schauspielerin, die bis eben eine Mutter gespielt, vor allem aber gesprochen hat, sitzt in der Mitte des kurzen Abends in der Mitte des ansonsten leeren Parketts und schaut auf die leere Bühne. Und wir schauen von insgesamt drei Rängen zu, wie es um sie herum dunkel und dunkler wird. Mitten hinein in diese Nacht des Lebens blitzen alsbald Lichter auf: Laserstrahlen schießen längs und quer durch den Raum, zwischen denen sich dann diverse geometrische Flächen bilden werden, als zöge jemand neue Wände und Ebenen im Theater ein. Sie sind transparent. Transzendent sind sie irgendwie auch.
„Mit dem Theater körperlicher Empfindungen ist’s in der Zwischenwelt natürlich vorbei“, hatte die Mutter zuvor unter anderem erzählt. Theater war hier eher als Metapher gemeint. Aber eben nicht nur. Denn in seiner ersten Arbeit als Regisseur am Schauspiel Erlangen schafft dessen neuer Intendant Jonas Knecht mit seinem Team das Schauspiel vor unseren Augen gewissermaßen ab, zumindest vorübergehend und womöglich testweise.
Mit einer Erzählung vom Leben-und-Sterben-Lassen sowie den Schwierigkeiten des Abschiednehmens führt uns dieser erklärtermaßen audiovisuelle, installative Abend nicht nur an die Grenzen zum Jenseits und ein bisschen auch darüber hinaus. Er dringt zudem in eine Dimension vor jenseits dessen, was wir landläufig unter Schauspiel verstehen. Es ist eine Dimension jenseits des Sagbaren und Spielbaren. Und dafür tauchen sie das barocke Markgrafentheater gleichsam in ein völlig neues Licht, im direkten wie übertragenen Sinne.
„Beyond. Wie Licht entsteht“ stellt uns in den ersten von zweimal knapp vierzig Minuten einen Text von Andreas Schäfer als Sprechtheater vor, der weitgehend als doppelter Monolog daherkommt und mitunter innere Dialoge provoziert. Darin liegt, so die Erzählung, eine Mutter nach einer Hirnblutung auf der Neurochirurgie und wird künstlich beatmet. Die Entscheidung, die Geräte abzuschalten, liegt bei und lastet auf ihrem Sohn. Dass er sie treffen wird, beziehungsweise bereits getroffen hat, ist von Anfang an klar. Denn da ist er, als beide Schauspieler aus dem Nebel getreten sind, laut Text gerade damit beschäftigt, ihre Wohnung aufzulösen und ihre Möbel auf dem Wertstoffhof zu entsorgen. Seine Mutter, so glaubt er, sieht ihm dabei, hinter einer Mülltonne stehend, zu.
„All dies ist längst geschehen und wird sich noch ereignen“, lautet ein Kernsatz des dichten poetischen Textes, der Raum und Zeit infrage stellt. Deshalb ist es ohne Belang, dass Birgit Bücker und Hermann Große-Berg auch von ihrem Spielalter her eigentlich zu dicht aneinander dran sind, um Mutter und Sohn abzugeben. Mag das für den Moment irritierend wirken, was ja nicht das Schlechteste wäre, so fangen die beiden Schauspieler das doch mit größter Selbstverständlichkeit auf.
Ihnen gelingt dabei die Kunst, sich im Raum gegenseitig wahr- und des anderen Energie aufzunehmen, dabei jedoch ein jeder für sich zu bleiben, konzentriert auf die eigene Perspektive des Alleinseins mit jeweils einer Erfahrung, die sich kaum teilen lässt. Er ratlos und wie vor den Kopf gestoßen angesichts des Ganges der Dinge; dass seine Welt stille steht, die andere sich aber weiterdreht. Sie aufgewühlt in und fasziniert von der Zwischenwelt, in der sie aus sich heraustritt, um auf sich selbst blicken sowie auf den Sohn, der sich von ihr Absolution für seine Entscheidung erhofft. Merkwürdig nur, wie konfliktfrei und harmonisch diese Mutter-Sohn-Beziehung gewesen sein muss. Für einen Widerstreit der Gefühle bleibt in diesem Text jedenfalls wenig Raum.
Dann ist die Entscheidung gefallen: „Ich habe dir dein Sterben zurückgegeben.“ Dann sieht er, dann sehen wir alle das alles in einem, nun ja, ganz anderen Licht. Mit Laser und Sound, die für Bilder auch im Kopf sorgen, die sich aber davor hüten, etwas optisch und akustisch zu bebildern außer vielleicht, wie sich in einem alten Theater neue Räume des Denkens und Sehens öffnen lassen. Dass in diesem Theater der Transzendenz die Schauspieler verschwinden, ist eine interessante Pointe. Da es Erlangen aber insgesamt um Formenvielfalt zu tun ist, müssen wir das wohl kaum zum Vorzeichen ihrer bevorstehenden Abschaffung nehmen.
Ohnehin wird „Beyond“ nur neunmal binnen eineinhalb Wochen gezeigt. Denn anders als das immersive Audiosystem, das 2019 fest im Haus installiert worden ist, musste die Lasertechnik für diesen außergewöhnlichen Versuch recht teuer angemietet und aufwendig eingerichtet werden. Dergleichen bleibt also einstweilen eher die Ausnahme, das Schauspiel indes die Regel.
Erschienen am 26.1.2025