Magazin
Die Gegenwart aushalten lernen
Das 13. Berliner Hörspielfestival als Seismograf der Veränderung
von Paul Mühlbach
Erschienen in: Theater der Zeit: Der Untergang des russischen Theaters (10/2022)
Assoziationen: Kritiken
„Ich für meinen Teil habe ja die sogenannten goldenen Zeiten, von denen alle immer reden, nie erlebt. Vielleicht gab es sie auch nie. Einfach war es sicher nie“, resümiert Regisseurin Luise Voigt bei einem Podiumsgespräch auf dem diesjährigen Berliner Hörspielfestival in den Räumlichkeiten der Akademie der Künste. Das Thema dieses öffentlichen Austauschs, u. a. mit ihren älteren Kollegen Ulrich Bassenge und Oliver Sturm, waren „Prozesse der Selbstermächtigung“. Die nüchterne Feststellung der Regisseurin in einem solchen Rahmen lässt sich als genaue Kenntnis der Gegenwart des Hörspiels einordnen: ein Medium und seine Akteure auf der Suche nach wiederzugewinnendem Selbstbewusstsein. Audio-Kunst zwischen der Prekarität des „online zahlt nix!“ („Produziere Ich“, Gesche Piening) und dem Abschied von „bourgeoisen Lebensgebäuden“ („Chimaira“, Rainer H. Kremser). Und doch sollte ein „Wir befinden uns mitten in einer Notlage, dies ist keine Übung!“ („Achtung! Achtung“, Cristina Marras) hier auch als künstlerischer Schlachtruf verstanden werden.
Beim Einlass vor der eigentlichen Eröffnung des renommierten Festivals für gegenwärtiges Hörspiel, jenseits von inhaltlichen oder ästhetischen Rundfunk-Konventionen, brachte Annedore Bauer ihr neues Hörspiel „Irmi, geboren 1923“ im schattigen Garten der Akademie zur Uraufführung. Bauer hatte im letzten Jahr den Förderpreis des Festivals für „Die Unantastbaren“ gewonnen, dieser ermöglicht und verpflichtet dazu, ein neues Hörspiel...