Theater der Zeit

Die Arbeit am künstlerischen Text

Begleitende Übungen und Spiele

von Viola Schmidt

Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)

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Um das Denken und Verhalten der Studierenden in den Körper zu führen, stehen uns Versatzstücke aus den in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Übungen und Spielen zur Verfügung. Das kann einerseits die Art der Verortung im Raum betreffen. Welchen Standpunkt nehmen die Figuren ein? Wie viel Gewicht geben sie an den Boden ab? Wie groß ist ihr Aktionsradius und Raumanspruch nach allen Seiten? Übungen zum Körperschwerpunkt, zur Aufrichtung und zum Raumgriff bieten sich an. Vor allem der Raumanspruch im Rücken der Sprecher hat einen erstaunlichen Einfluss auf die Aufrichtung des Körpers und Durchlässigkeit und Tragfähigkeit der Stimme. Manchmal ist es ausreichend, sich hinter die Sprecher zu stellen, um ihnen das Gefühl für diesen Raum zu vermitteln. Wir können aber auch mit entsprechenden Vorstellungen arbeiten. Das Stehen auf Balancierscheiben oder Medizinbällen verlangt eine andere Ausrichtung gegen die Schwerkraft, fordert unsere Fähigkeit zur Zentrierung heraus und kann unterstützend in die Textarbeit miteinbezogen werden. Andererseits ist zu untersuchen, welcher gedachte körperliche Widerstand von Spielpartnern und Zuschauern ausgeht. Da die Arbeit am künstlerischen Text vorwiegend im Einzelunterricht stattfindet, können sich die Sprecherzieher als Partner anbieten. Kontaktübungen, in denen wir versuchen, uns gegenseitig zu schieben, zu ziehen oder mit Impulsen durch den Raum zu bewegen, bieten sich dafür an. Zur Stabilisierung der Körpermitte eignet sich aber auch die Arbeit an einer Wand. Versuche, Spielpartner oder eine Wand frontal, rückwärts oder seitlich zu bewegen, aktivieren das Körperzentrum und fördern die Bodenhaftung. Die Stimme wird an den Körper angeschlossen, der Atem vertieft sich und strukturiert die Handlungen. Die Äußerungen werden in den Raum gerichtet, die Distanzen sukzessive vergrößert. Die Stimme kann auf diese Weise den ganzen Körper abbilden. Die Sprache wird im Lautgriff und in der Öffnung präziser und gerichteter, da auch die Artikulation an den Mittelkörper angeschlossen werden kann. Das Sprechen wird zu einem gesamtkörperlichen Vorgang. Diese Übungen haben unterstützenden Charakter. Sie erinnern den Körper daran, dass er sich vom Denken, Handeln und Erleben bewegen lassen kann und dadurch das Sprechen bewegt. Dann können wir wieder mit den Ohren sehen. Innere Bewegung und Beweglichkeit wird nach außen gerichtet. Wo sie fehlt, kann sie auf diese Weise getriggert werden. Wenn es uns möglich ist, sollten wir in Übungsräumen unterschiedlicher Größe arbeiten. Jeder Raum verlangt ein anderes Anpassen der Körper- und Sprechspannung. Die Studierenden sollten die Erfahrung verschiedener Räume machen können und in die Lage versetzt werden, mit diesen Räumen selbstständig zu arbeiten.

Wie wir den Text im Spannungsfeld von Metrum und Satz gliedern, hängt von unseren Motiven und Absichten im Dialog mit den Spielpartnern und/oder den Zuschauern ab. Der Atem ist unser Mittel, Denken und Sprechen zu strukturieren. Mit dem Atem nehmen wir Eindrücke in uns auf, der Atem begleitet unsere Vorstellungen und Empfindungen, der Atem darf strömen. Jeder sprecherische Ausdruck ist an den Atem gebunden. Inspiriertes Sprechen ist an den leidenschaftlich denkenden Körper angeschlossenes Sprechen. Der Atem kann uns in den verschachtelten Kleist’schen Satzkonstruktionen einen Halt geben. So können wir Wichtiges von Unwichtigem trennen und gedankliche Schwerpunktsetzungen vorbereiten. Der in den Text eingeschriebene Atem verbindet die Sprache mit dem Körper und macht die fragile Struktur aus Haupt- und Nebensätzen, Einschüben, Inversionen und Enjambements sprechbar.

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