Die Meister und Margarita
Die Theaterausbildung in Mexiko zwischen Tradition und Avantgarde
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Mexiko (03/2015)
Assoziationen: Nordamerika
D ie Theaterausbildung in Mexiko stützt sich auf drei wesentliche Säulen: den Regisseur Fernando Wagner (1905 bis 1973) – einen Anhänger der deutschen Schule –, den Dramatiker Rodolfo Usigli (1905 bis 1979) und den Regisseur Enrique Ruelas (1913 bis 1987). Mit ihren Theaterkursen an der Fakultät für Philosophie und Literatur der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM, Nationale Autonome Universität Mexikos) brachten sie im Jahr 1941 die professionelle Theaterausbildung in Schwung. Fünf Jahre nach Entstehen dieser Klassen wurde, ebenfalls in Mexiko-Stadt, die zweite Schule geboren: die Escuela Nacional de Arte Teatral (Nationale Hochschule für Theaterkunst), die sich dem professionellen Schauspielstudium widmet. Ihr herausragendster Dozent war Sano Seki (1905 bis 1966), der die Methodiken von Stanislawski und Meyerhold lehrte. Im Jahr 1960 trat an der UNAM das Centro Universitario de Teatro (CUT) unter dem Dach des Departamento de Difusión Cultural (in etwa: Abteilung für kulturelle Erweiterung) der Ausbildungsszene bei.
Seit den 1970er Jahren sind in den meisten Staaten Mexikos insgesamt rund 20 verschiedene professionelle Theaterschulen entstanden. Diese Ausbildungsstätten waren zunächst dadurch gekennzeichnet, dass sie in ihrer Methodik den Meistern der ersten beiden Schulen des Landes folgten. Dies führte zu einer Vorherrschaft der Lehre Stanislawskis und hatte zur Folge, dass hinsichtlich Schauspiel und Regie ein Großteil der mexikanischen Inszenierungen im 20. Jahrhundert einen realistischen Theaterstil pflegten.
Es war die Generation des späten 20. Jahrhunderts, die bewusst mit diesem Paradigma brach und die Theaterschaffenden zur Neuerkundung der Dramatik und der mexikanischen Theaterszene ermunterte. Neben neuen Generationen von Dramatikern, Regisseuren und Schauspielern tauchten Theatergruppen auf, die neue künstlerische Ansätze entwickelten. In diesem Zusammenhang ist das Teatro Línea de Sombra (Theater Schattenlinie) zu nennen, das in seinen Projekten kreativ-künstlerisch, investigativ und pädagogisch arbeitet und sich parallel dazu im Bereich der Ausbildung betätigt, indem es seit über 15 Jahren während der Transversales – encuentro internacional de escena contemporánea (Transversales – internationales Treffen der zeitgenössischen Szene) internationale Workshops organisiert. Zu den vielen Leitern dieser Kurse zählten Yoshi Oida, Philippe Lacombe, Josette Féral, María Ribot und Daniel Veronese. Initiativen wie diese haben die Gegenwartsbezogenheit des mexikanischen Theaters und den Dialog mit der zeitgenössischen internationalen Szene befördert.
Auf dem Kurs, den die Theaterlandschaft Mexikos bis zu diesem Zeitpunkt eingeschlagen hatte, kollidiert die Berufsausbildung nun mit einer neuen Bühnenrealität, die sie auffordert, umzulernen sowie sich angesichts der neuen Ästhetiken zu erneuern. Während einige weiterhin linientreu den traditionellen Theaterformen und der Lehre Stanislawskis folgen, existiert eine kleine Gruppe von Lehrenden, die sich der Forschung widmen und ihr Curriculum ausgehend von den Veränderungen im zeitgenössischen mexikanischen sowie internationalen Theater erneuert haben. Ferner wird eine weitere Herausforderung sichtbar, auf die man allmählich zu reagieren scheint: die Herausbildung von Spezialisierungen (Aufbaukursen) und Meisterklassen in der Theaterwissenschaft, der darstellenden Kunst und im Bereich der Theaterregie, deren Inhalte die Debatte zwischen dem Traditionellen und dem Zeitgenössischen aufrechterhalten sollen. //