Magazin
Den Prozess lesen
Wie sich Regie in der Dokumentation zeigen lässt
von Thomas Wieck
Erschienen in: Theater der Zeit: Neue Dramatik (03/2023)
Assoziationen: Buchrezensionen
Besorgt um ihre aktuelle Reputation sucht die germanistische Philologie unentwegt nach unerschlossenen, frisch zu kommentierenden und – wichtiger noch – editionswürdigen Texten. Dabei stieß sie in den letzten Jahren auf die theatereigene Textsorte Regiebuch. „Regiebücher stellen zugleich den prominentesten Dokumententyp im Kontext der Theateraufführung dar.“ (Katrin Henzel) Erste Ergebnisse der Beschäftigung mit dieser Textsorte präsentiert der Band „Das Regiebuch“, der die Beiträge einer Konferenz zu diesem Thema aus dem Jahre 2020 versammelt. Einzelne Beiträge sind durchaus interessant, doch der Band insgesamt vermittelt ein schiefes Bild der Forschungslage. Denn entgegen der übermütigen Verlagsankündigung „Regiebücher aus verschiedenen Jahrhunderten erstmals in Kontext gesetzt: ein neuer Zugang zur Theaterforschung!“ ist die Textsorte Regiebuch in ihren historischen Erscheinungsformen und unterschiedlichen Funktionen spätestens seit 1905 (Eugen Kilian) für die deutsche Theaterwissenschaft Gegenstand kritischer Reflexion. Jörg Krämer beschreibt theaterpraktisch und theaterhistorisch solide untersetzt in seinem Beitrag „Perspektiven der Erforschung von Musiktheater-Regiebüchern“. Die hochelaborierten Regiebücher von Reinhardt und Stanislawski waren dagegen erster „Tummelplatz“ der Kreativität des Regisseurs und dokumentierten seinen subjektiven Bühnenzugriff aufs literarische Werk, waren Entwurf und Plan einer erst zu leistenden Aufführung.
Da Leopold Jessner und Erwin Piscator mit den zu inszenierenden Texten viel radikaler umgingen, veränderte sich auch die Faktur ihrer Regiebücher. Ähnliches geschah nach...