Rezente Ästhetikdiskurse unter Hegels Fittichen
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Assoziationen: Bernd Stegemann Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Auch heutzutage deuten wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die Hegels Philosophie für gegenwärtige Theater- und Ästhetikdiskurse heranziehen, dieses Potenzial der Hegel’schen Ästhetik zwar an, unterstützen jedoch in erster Linie die bürgerlich-koloniale Dimension seines philosophischen Denkens. Oftmals bleiben sie im dialektischen System der Phänomenologie des Geistes stecken und betonen nicht die Weltoffenheit, auf welche die Vorlesungen über die Ästhetik mit dem Ende der Kunst und der Reflexion über die „dramatische Poesie“ hindeuten. Theater wird als ein Ort verstanden, an welchem im real scheinenden und nach dem dialektischen Modell strukturierten Handeln und Argumentieren der Protagonisten gesellschaftliche Fragen reflektiert werden. Hinterfragt wird dabei weder der Universalitätsanspruch dieses dialektischen Systems noch die rein abendländische Verortung der Darsteller.
Bernd Stegemann unternimmt im Lob des Realismus (2015) den Versuch, Theater aus den avantgardistischen Schlingen, welche seiner Meinung nach die Hegel’sche Wirkungsmacht des Erhabenen bedrängen, zu befreien, und fordert eine Rückbesinnung auf einen im Ästhetischen wirkenden Realismus, der jedoch außereuropäische Einflüsse ignoriert und den tradierten kolonialen Machtanspruch westlicher Wissenschaften untermauert. Zunächst betont er die dialektische Grundstruktur realistischer Kunst:
Will man aber auch heute noch die wesentliche Bestimmung realistischer Kunst ernst nehmen, so muss der Begriff zuerst aus seiner postmodernen Gefangenschaft befreit werden. Realismus soll hier nicht all das heißen, was...