Bürgerliche Indienstnahme des Theaters
Vom Komödianten zum Menschendarsteller
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Der Darsteller war zentral für die jetzt geforderte Gestaltung naturgetreuer (Ab-)Bilder auf der Bühne, vor allem, wenn es um die genaue, gemäldeartige Verkörperung des Inneren der Charaktere geht. Das dürfte zu der Neu- oder Umbewertung des Status des Schauspielers geführt haben. Im leicht zeitversetzten Kampf der deutschen bürgerlichen Bildungselite gegen die als speziell höfisch-aristokratisch gesehene „klassizistische“ Kunst und zugleich gegen das regellose undisziplinierte deutsche Wandertheater hatte Christlob Mylius schon 1743 auf die entscheidende Rolle des Schauspielers verwiesen. Er forderte, dass der Staat die Schauspielergesellschaften tragen solle, denn jetzt wäre nicht mehr (hauptsächlich) der Dramatiker für die Herstellung der Wahrscheinlichkeit (der Regeln, der Naturtreue) entscheidend, sondern der Schauspieler. Die Gebärden müssten wie auch die Kostüme und Dekorationen ganz echt sein. „Wie ungereimt, wie lächerlich ist es, wenn auf der Schaubühne sterbende Personen, durch die Stärke ihrer Aussprache, durch muntere Blicke und lebhafte Geberden verrathen, daß sie nur Schauspieler sind; und wenn sie sonst kein Zeichen ihres nahen Todes von sich geben, als daß sie sagen: Ich sterbe.“151
1785 formulierte dann Johann Jacob Engel, dass der Ausdruck der Seele, des Inneren des Individuums, also das Erscheinende, das visuell Wahrnehmbare entscheidend sei. Die Mimik sei die Kunst, die sich mit dem...