Kultur – Dialog – Wandel: Interkulturelle Zusammenarbeit heute
Erschienen in: Recherchen 144: Gold L'Or – Ein Theaterprojekt in Burkina Faso | Un projet de théâtre au Burkina Faso (05/2019)
Assoziationen: Afrika

Internationale Kooperationen setzen ein Zeichen für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft und die Vernetzung von Menschen, Ländern und Kontinenten. Der Austausch zwischen Menschen und Kulturen existiert schon lange, jedoch war er nie so einfach wie im Zeitalter der Globalisierung. Durch moderne Infrastrukturen und Technologien sind die Kontinente näher zusammengerückt, und Kulturaustausch findet heute sowohl physisch als auch digital statt.
Die Zusammenarbeit zwischen Europa und dem globalen Süden hat sich in den letzten Jahren zunehmend intensiviert. Das Interesse an künstlerischen und intellektuellen Positionen aus afrikanischen Ländern ist in Deutschland seit Anfang der zweitausender Jahre und der Afrika Initiative von Horst Köhler im Jahr 2005 stark gestiegen, und Afrika steht seither auf der Agenda der deutschen Außenpolitik. Es gibt vielfältige Fördermöglichkeiten für internationale Kulturprojekte, und die Zahl der „Afrika-Festivals“ in Deutschland (und Europa) und der künstlerischen Koproduktionen ist gestiegen. Der Ansatz und die Form der interkulturellen Zusammenarbeit spielen dabei eine wichtige Rolle, und die soziopolitischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Länder müssen einbezogen werden.
Stärker denn je hängen die globalen Entwicklungen von den westlichen Staaten ab, und die sogenannten Transformationsländer scheinen sich nur langsam aus dieser (Inter-)Dependenz zu lösen (oder lösen zu können). Auf kultureller und intellektueller Ebene zeigt sich jedoch ein anderes Bild, und die Stimmen von KulturakteurInnen und KünstlerInnen aus Afrika vermehren sich in den internationalen Foren für Kultur, Politik und Wissenschaft. Sie beziehen Position und fordern durch einen Perspektivwechsel zum Umdenken auf. Ein politischer und gesellschaftlicher Wandel ist notwendig, um in naher Zukunft die globalen Machtverhältnisse aufzuweichen und neu sortieren zu können.
Wie können diese Transformationsprozesse von beiden Seiten unterstützt und Synergien geschaffen werden?
Hierauf können wir mit den Potenzialen und Möglichkeiten der interkulturellen Zusammenarbeit und des Kulturaustauschs antworten. Wandel kann nur im Dialog entstehen, und Kultur kann Dialoge einleiten. Durch die interkulturelle Zusammenarbeit werden Menschen, Länder und Kontinente in einen Austausch gebracht, der für ein besseres Verständnis des „Anderen“ sorgt und eine Annäherung auf kultureller und menschlicher Ebene ermöglicht. Kultur ist nicht unpolitisch, aber Kultur kann sich von Politik distanzieren und künstlerische Werte in den Vordergrund stellen.
Das Goethe-Institut e. V. widmet sich seit seiner Entstehung im Jahr 1951 dem interkulturellen Austausch. Als weltweit tätige Institution musste und muss das Goethe-Institut seine Rolle immer wieder neu überdenken und seine Arbeitsweisen den globalen Entwicklungen entsprechend anpassen. Der frühere „Kulturexport“ wurde von einem reziproken Kulturaustausch ersetzt. Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und die gemeinsame Projektentwicklung ist daher eines der wichtigsten Merkmale unserer Arbeit im kulturellen Bereich. Es geht darum, Räume für kreative und interdisziplinäre Begegnungen zu schaffen, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaften leisten. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe gilt jedoch nicht nur für Institutionen, sondern auch für individuelle KulturakteurInnen und KünstlerInnen, die internationale Kooperationsprojekte leiten.
Es gibt eine Vielzahl gelungener Kooperationsprojekte, die nicht nur einen hohen künstlerischen Eigenwert haben, sondern auch einen gesellschaftlichen und kulturellen Beitrag leisten. Allerdings gibt es bis heute Kooperationsprojekte, vor allem wenn (nur) aus dem Westen konzipiert und finanziert, die in ihrer Ausrichtung und Durchführung scheitern und der Bedeutsamkeit des internationalen Kulturaustauschs schaden, da sie unbewusst (oder bewusst) die globalen Machtverhältnisse widerspiegeln und weiterführen. Das Antizipieren einer finanziellen, akademischen und oft ideologischen Überlegenheit von westlichen Partnern schadet dem Prozess kultureller Annäherung und hält das Bild der westlichen Hegemonie aufrecht. Immer mehr Kulturakteure und KünstlerInnen aus afrikanischen Ländern entziehen sich dieser Vormachtstellung und setzen auf nationale und transnationale Ressourcen und Expertise. Doch auch in Europa hat ein Perspektivwandel stattgefunden, der in der interkulturellen Zusammenarbeit neue Wege aufzeigt.
Internationale Kulturprojekte können nur dann funktionieren, wenn sie gemeinsam gedacht, entwickelt und realisiert werden. Von außen implementierte Projekte korrespondieren oft nicht mit den lokalen Realitäten und ignorieren die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort. Man sollte seine lokalen Partner und das kulturelle Umfeld kennen oder sich darauf einlassen, um die Spielräume und Grenzen auszuloten. Durch die Globalisierung entwickelt sich die Welt rasend schnell, und die Situation in den meisten afrikanischen Ländern ist längst nicht mehr wie vor fünf bis sechs Jahren. Es gibt andere Visionen, Voraussetzungen und Bedürfnisse ebenso wie Potenziale. Der Kontinent benötigt keine kulturelle Entwicklungshilfe, sondern Impulse durch einen künstlerischen Austausch im gegenseitigen Dialog und Voneinander-Lernen. Im Dialog entstehen Ideen, Geschichten, Visionen und neue Perspektiven.
Interkulturelle Projekte fordern die beteiligten Personen auf, sich aus ihrer „Comfort-Zone“ herauszubewegen und sich Neuem zu öffnen, neuen Denkweisen, Arbeitsweisen und Lebensweisen. Man muss bereit sein, seine eigenen Ansichten zu hinterfragen und sich auf einen gemeinsamen Prozess einzulassen. Kommunikation ist hier ein Schlüsselwort, auch wenn diese nicht immer selbstverständlich ist, in Anbetracht der kulturellen und lingualen Barrieren.
Doch können und sollten Barrieren genutzt werden, wie zum Beispiel die Sprachbarriere, indem man den Multilingualismus als Schnittstelle zwischen Kulturen hervorhebt und als Bindeglied versteht. Dieser Herausforderung hat sich zum Beispiel das Projekt Brillante Saleté (Glänzender Dreck) des fringe ensemble (Bonn) und Espace Culturel Gambidi (Ouagadougou) angenommen. Und das mit großem Erfolg. Die Stärke des Projekts liegt in der kollektiven Entwicklung des Theaterstücks und der Einbindung aller Beteiligten, die mit eigenen Perspektiven und Sprachen zur Authentizität der Produktion beigetragen haben.
In der interkulturellen Zusammenarbeit muss es Freiräume für Diskussionen und Richtungswechsel geben, die die Heterogenität und produktive Dynamik der Kooperationen sichtbar machen. Kulturen sind dynamisch und können sich aufeinander zubewegen. Menschen können sich aufeinander zubewegen. Dieses Potenzial sollten wir heute mehr denn je nutzen, um uns den verhärtenden politischen und gesellschaftlichen Ideologien entgegenzusetzen, und im interkulturellen Dialog eine gemeinsame Zukunft errichten.