Theater der Zeit

750 Jahre Berlin

Berliner Feuilletons

Egon Erwin Kisch - Über den Schauspielerstreik (Gekürzt aus: Läuse auf dem Markt, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1985

von Egon Erwin Kisch

Erschienen in: Theater der Zeit: 750 Jahre Berlin - Theatergeschichte (11/1987)

Assoziationen: Berlin Dossier: Tarife & Theater

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Die Berliner Bühnen sind geschlossen. Das heißt, nicht alle. Es spielen das Staatliche Schauspielhaus und die Staatsoper, die bereits früher eine von der Schauspielergenossenschaft geforderte Mindestgage bewilligt hatten, es spielt die Komische Oper, wo eine Revue mit Leuten vom Kabarett aufgeführt wird, es spielt das Theater Grand Guignol Rampe, das ebenfalls auf Grund einer Kabarettkonzession arbeitet und dessen Direktorin Rosa Valetti ihre Räume den Streikenden für Nachmittagsvorstellungen zur Verfügung gestellt hat, und das proletarische Zentral-Theater spielt Romain Rollands Drama »Die Zeit kommt« in Nachmittagsvorstellungen, deren Bruttoertrag für die Schauspielerorganisation bestimmt ist.

Bei den großen Stars erkundigte man sich gestern erst einmal, was für einen Standpunkt sie einnehmen würden. Fritzi Massari, deren Darstellung in der Operette »Madame Pompadour« noch heute zu den größten künstlerischen Leistungen des Berliner Theaterlebens gehört, erklärte sich solidarisch mit den Streikenden, obwohl sie eigentlich Unternehmerin der Stücke ist, in denen sie spielt. Auch Max Pallenberg, der noch am Sonnabend trotz des Streiks Schulter an Schulter mit dem Verwaltungsdirektor, dem Dramaturgen Dr. Franz Blei und einigen eingesprungenen Dilettanten Molnärs »Liliom« spielte, ließ jetzt die Arbeit ruhen. Auch We­gener erklärte, er wolle während des Streiks in keinem Theater spielen – er habe sowieso genug zu tun im Film. Lediglich Albert Bassermann erklärte, daß er zum Theaterverband, das heißt zu den Direktoren, halte; das ist für die Streikenden schmerzhaft, da Bassermann der Träger des höchsten und einzigen Ordens des Verbandes ist, nämlich des Ifflandrings, der seit etwa hundert Jahren vom besten Schauspieler jenem vermacht wird, den er nach sich selbst für den besten hält. Tritt im Augenblick des Kampfes. der Repräsentant der Zunft gegen seine Zunft auf, so ist das bitter, und in den Ver­sammlungen wurde mit Ausrufen: »Pfui, Bas­sermann!« nicht gespart.

Trotzdem sind die Schauspieler voller Zuversicht. Sie stellten vor die Theater Streikposten, die Lieblinge der Zuschauerräume verteilen in den Straßen Flugblätter, in denen das Publikum aufgefordert wird, nicht ins Theater zu gehen, sie veranstalten im Saal der Bötzowschen Brauerei Vorstellungen von Schillers »Kabale und Liebe«, in denen auch die Statistenrollen von prominenten Schau­spielern besetzt sind (»ja, sogar die beiden Titelrollen«, sagt ein Berliner Witz), die tsche­chischen Schauspieler sandten aus Prag be­reits eine halbe Million Mark für die Streik­kasse, und die Theaterarbeiter halten zu ihren Kollegen. Das wichtigste jedoch ist, daß das Publikum zu ihnen hält. Das Publikum ist nämlich immer für einen Streik der ihm nicht zu nahe tritt.

Das Publikum kommt nicht in hellen Scharen zu Strindberg und Berlioz, Wedekind und Debussy, Shaw und Richard Strauss gelaufen, und die, die doch hingehen, weil man die Stücke oder Opern gesehen haben muß, sind froh, daß sie nicht hinmüssen. Auch für den Theaterbesessenen sind diese Ferien noch erträglich, und den Operettenfans bleibt das Kino, das ihren geistigen Ansprüchen genügt. Vor einigen Monaten gab es einen Streik der Filmvorführer. Der war rasch vorbei. Aber das Theater? Solch ein Streik kann noch lange dauern.

Der Hauptgrund des Streiks ist, daß die Direktoren die Januargagen bereits heute festsetzen wollen, während die Schauspieler darauf bestehen, die Gagen erst dann festzulegen, wenn der Kurs der Mark sowie die Preise der Lebensmittel und der Textilien für den nächsten Monat bekannt sein werden. Die Direktoren geben zwar die Möglichkeit einer weiteren horrenden Steigerung des Lebensunterhalts zu, weisen jedoch, nicht zu Unrecht, auf ihre eigene unsichere Lage und vor allem darauf hin, ob das Berliner Publikum eine entsprechende Verteuerung der Eintrittskarten überhaupt noch hinnehmen werde.

So tobt der Kampf. Die Schauspieler haben mehr Sympathien auf ihrer Seite als die Direktoren. Und sie sind voller Begeisterung und Kampfeslust. Doch im Krieg entschei­den nicht Begeisterung, sondern bessere Nerven und größere Geldreserven. Dabei hat der Schauspieler im offenen sozialen Kampf eine schwerere Lage als jeder andere. In keinem anderen Beruf kann der Mensch künstlerisch so leicht beeinflußt werden wie in dem des Schauspielers. Und eben in diesem Beruf muß der Ehrgeiz und die Empfindlichkeit des einzelnen größer als in jedem anderen sein.

(Gekürzt aus: Egon Erwin Kisch, Läuse auf dem Markt, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1985)

*Der Streik der Schauspieler in Berlin begann am 25. November und endete offiziell am 10.Dezember 1922.

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