Wir sind alle blind. Auch die Autorin. Ilse Ritter eröffnet den Abend als eben jene. Oder ist sie doch die Einäugige unter den Blinden? Ja? Nein. Alle blind. Schon in der nächsten Szene sind es die Schauspieler, die gerade noch um einen Tisch sitzend Elfriede Jelineks endlosmäandernden Text gesprochen haben, die mit Binden um den Kopf über die Bühne stolpern, tastend, hilflos, während Blut aus den Augenhöhlen die Gesichter herunterläuft. Hier sind wirklich alle mit Blindheit geschlagen. Man denkt an Ödipus, den Vatermörder und Mutterbeischläfer, der zunächst blind ist für seine eigene Schuld – und als er sie erkennt, sich blendet. Oder an den blinden Seher Teiresias, der zwar von Ödipus’ Verhängnis weiß, aber nur in Rätseln spricht. Vielleicht hat man auch noch José Saramagos „Stadt der Blinden“ im Gedächtnis, in dem Blindheit zur Metapher der gesellschaftlichen und nicht nur individuellen Unfähigkeit zur Erkenntnis wird. Ist Blindheit aber tatsächlich das Bild, mit dem die Gegenwart treffend beschrieben ist? Sehen wir nicht, was wir tun? Oder müsste man es zuspitzen: Wir sehen, was wir tun, aber wir ziehen keine Konsequenzen aus dem, was wir sehen? Wir wissen nicht, was wir gleichzeitig doch wissen? In Bezug auf die Natur, die Arbeit, die...