Schuld und Sühne
von Anne Fritsch
Erschienen in: Theater unser – Wie die Passionsspiele Oberammergau den Ort verändern und die Welt bewegen (04/2022)
Je intensiver ich mich mit den Passionsspielen beschäftige, desto klarer wird: Die Faszination Oberammergau ist nicht nur die Faszination für einen Ort voller Theaterbegeisterter, es ist auch die für die lange Geschichte der Spiele, für die Beharrlichkeit, mit der die Dorfbewohner (und das waren nun mal vor allem die Männer) über die Jahrhunderte an dieser Tradition festgehalten haben. Denn es war keineswegs immer so, dass die Spiele von der Kritik gelobt und international anerkannt waren. Bis ins 19. Jahrhundert spielte das Tourismus-Argument kaum eine Rolle, das Feuilleton nahm das Laienspiel die längste Zeit nicht als ernstzunehmendes Theater wahr. Es gab Durststrecken, Kriege, Seuchen, aber auch harsche Kritik und Schmähungen. Im Nationalsozialismus wurden die Spiele zur antijüdischen Propaganda genutzt, nach 1945 wurde die internationale Kritik am textimmanenten Antijudaismus immer lauter. Schließlich war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch das Dorf zunehmend gespalten zwischen denen, die alles beim Alten belassen, und denen, die die Spiele grundlegend reformieren wollten. Die Jungen interessierten sich immer weniger für diese angestaubte und rückständige Veranstaltung, die Spiele standen vor einer Zerreißprobe. Kurz: Es gab über die Jahrhunderte viele Gelegenheiten, einfach aufzuhören. Übel genommen hätte es den Oberammergauern wohl kaum einer.
Getan haben sie das aber...