Theater der Zeit

Auftritt

Theater und Orchester der Stadt Heidelberg: Buckeln und Treten für die tote Liebe

„Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams – Regie Holger Schultze, Bühne Florence Schreiber, Kostüme Annabelle Gotha, Komposition und Arrangement Paul Pötzsch

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Dossier: Bühne & Film Holger Schultze Theater und Orchester Heidelberg

Der Plantagenbesitzer Big Daddy ist von seiner Familie tief enttäuscht: „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ nach Tennessee Williams in der Regie von Holger Schultze am Theater Heidelberg
Der Plantagenbesitzer Big Daddy ist von seiner Familie tief enttäuscht: „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ nach Tennessee Williams in der Regie von Holger Schultze am Theater HeidelbergFoto: Susanne Reichardt

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Die alte Herrlichkeit der Südstaaten ist verflogen. Die Palmen sind verdorrt. Alle Bäume sind mit einer weißen Schicht überzogen. Dahinter geht glühend die Sonne unter. In dieser morbiden Szenerie verortet Holger Schultze Tennessee Williams‘ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“. Die Baumwollplantage des Patriarchen Big Daddy gleicht einer Geisterwelt. In seiner letzten Inszenierung als Intendant im Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters spürt Schultze dem Sterben der Liebe in einer Familie nach.

Schon der Bühnenraum von Florence Schreiber hat eine große symbolische Kraft. Die Torbögen des Familiensitzes wirken mondän. Doch die mit Goldfarbe überzogenen Kostüme von Annabelle Gotha verleihen den Figuren leblose Kälte. Auf den ersten Blick wirken sie wie billige Statuen aus einer vergangenen Zeit. Da ist alles im Verfall begriffen. Doch mit dieser Wahrnehmung bricht das Ensemble schnell. Unter der edlen Fassade brodeln die Emotionen.

Mit Liz Taylor als Margaret und Richard Burton als alkoholkranker Ex-Sportstar Brick war der gleichnamige Film von Regisseur Richard Brooks 1958 ein Kassenschlager. Williams, der als homosexueller Mann zeitlebens mit Anfeindungen auch in seiner Familie zu kämpfen hatte, gewann mit dem Familiendrama einen Pulitzer-Preis. Für Holger Schultze ist der Bühnenstoff zeitlos. Er besetzt die tragenden Rollen in Heidelberg spannend. Henriette Blumenau spielt die Frau aus armem Hause, die in die reiche Familie eingeheiratet hat. Wie eine Katzenmutter kämpft sie um ihren Ehemann, der die Flasche viel mehr liebt als sie. Kämpferisch und verletzlich zugleich, reißt die Schauspielerin das Publikum mit in eine Achterbahn der Gefühle. Ihre Stimme wird frostig und kalt, wenn sie in der Familie ihres Mannes um Wertschätzung kämpft. Sie buckelt und tritt, wenn es darum geht, ihre Liebe zu verteidigen.

Leidenschaftlich tanzt sie um ihren Mann herum, will ihn verführen. Ungestüm will sie ihn küssen. Doch der abgehalfterte Ex-Football-Star bleibt starr. An ihm prallt jede Leidenschaft ab. Mit fahlblondem Haar und einer Körpersprache, die abstößt, träumt Brick vor sich hin. Thorsten Hierzu presst jegliches Gefühl aus der Figur. Leise singt er sich in den Schlaf. Längst hat dieser Mensch den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Echte Nähe aufzubauen, das gelingt ihm nicht.

Umso mehr lässt sich sein Bruder Gooper von der dominanten Ehefrau einlullen. Steffen Gangloff fühlt sich wohl in der Rolle des geldgierigen Bruders, der den Bruder als Erben aus der Familie drängen will. Seine Frau Mae drängt ihn gnadenlos in die Rolle des Familienoberhaupts. Lisa Förster spielt eine knallharte Frau, die sich nicht in die Rolle der „Gebärmaschine“ drängen lassen will, wie Big Daddy sagt. Wie eine Marionettenspielerin führt sie ihren Mann und die fünf Kinder. Ihr Lächeln wirkt einstudiert und eiskalt. Lustvoll tobt sich Förster mit den Spitzen und Gemeinheiten aus, die sie vor allem ihrer Schwägerin an den Kopf wirft. Im Kampf um das Erbe ist jedes Mittel recht.

Dass seine Kinder am Leben scheitern, macht den Mann unglücklich, den alle Big Daddy nennen. Das treibt den einst so schillernden Plantagenbesitzer ebenso in die Krebskrankheit wie die fehlende Liebe seiner Frau. Hans Fleischmann zeigt einen Mann, dem es schon lange nicht mehr gelingt, die Familie zusammenzuhalten. Jetzt treibt ihn die Angst vor dem Tode um. Big Mama, klug und gefühlvoll interpretiert von Nicole Averkamp, gibt unumwunden zu, dass sie ihren Mann nie geliebt hat. Wie kalt sie dies bekennt, erschüttert und verstört zugleich. In dieser Familie ist alles nur noch schöner Schein. Regisseur Holger Schultze gelingt es, Tennessee Williams‘ tiefgründige Menschenporträts im größeren Kontext weiterzudenken. Sie haben das Lieben verlernt. Ästhetisch punktet der Regisseur mit einem stimmigen Gesamtkunstwerk.

Mit einem Kinderchor schlägt der Komponist Paul Pötsch einen wunderbaren Bogen zu Williams‘ poetischem Abgesang auf die Liebe. Die fünf Kinder von Brick und Mae singen von den Gefühlen, die die Erwachsenen längst verlernt haben. Mit seiner tiefen, emotional aufgeladenen Musik haucht Pötsch der Geisteraufstellung Leben ein. Mit dunklen Sonnenbrillen stehen sie am Ende auf der Bühne wie eine Gespenstergang. Das Bild verstört. Die Liebe, von der die Kinder singen, gibt es in der realen Welt nicht mehr.

Erschienen am 16.12.2025

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