Gespräch
Was macht das Theater, Friedrich Schirmer?
von Friedrich Schirmer und Bodo Blitz
Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)
Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...?
Herr Schirmer, Theater bezeichnen Sie als Ihre Leidenschaft, Ihre Liebe. Wie geht es dieser Leidenschaft?
Vielleicht ist der Begriff Leidenschaft zu groß. Ich liebe das, was ich tue, was ich tun darf. Seitdem ich zwölf bin, widme ich mich dem Theater – auch mit großer Leidenschaft. Diese Liebe ist doch nicht erloschen. Es gibt nach wie vor eine Lust, das zu tun, was ich gerne tue und gut kann: Theatermenschen – Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen, Bühnenbildner, Techniker, Musiker, Fotografen und natürlich auch das Publikum – „einzusammeln“, um ihnen dann bei der Theaterarbeit zuzugucken. Liebevoll und achtsam zu schauen, wie sich der Probenprozess auf der Bühne entfaltet, was noch zu ändern wäre, wohin sich die Arbeit entwickelt. Und natürlich: Stücke lesen und Spielplan machen.
Von 1985 bis 2010 standen Sie ununterbrochen in einer besonderen Verantwortung, derjenigen der Leitung – in Esslingen, Freiburg, Stuttgart und Hamburg. Wie lebt es sich jenseits des Theaterbetriebs?
Ich lerne seitdem einfach: am Leben teilzunehmen, meine Gegenwart zu erfahren. Ich will nicht in das alte Hamsterrad zurück. Mehr Zeit einplanen, für alles – auch für Pausen. Nicht in den alten Trott fallen, nicht die Gegenwart beschleunigen, immer mehr in kürzerer Zeit schaffen wollen. Die monströs vollgepackten Theaterarbeitstage sind wohl ziemlich lange zu bewältigen, aber nicht auf Dauer. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Leben dabei nicht versäumen. Da habe ich einige Lektionen in den letzten Jahren gelernt, habe eine gewisse Achtsamkeit und Kostbarkeit dessen erfahren, wovon wir immer im Theater reden, wie zerbrechlich ein Menschenleben ist, wie schnell ein Leben aus der Bahn geraten kann. Davon erzählen wir doch am Theater! Und wir Theaterleute weigern uns standhaft, diese Erfahrung auf unser eigenes Leben anzuwenden.
Nach den Metropolentheatern erst in Stuttgart, dann in Hamburg übernehmen Sie 2014 ein kleineres Theater. Für diesen Rahmen haben Sie sich ganz bewusst entschieden?
Ich kann nicht sagen, dass ich mich bewusst entschieden habe. Ich würde eher sagen, es hat sich entschieden – nach einem längeren Prozess in meinem Theaterherz. Ich bin sehr beharrlich, sehr liebevoll gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, mich nach diesem Riesenschiff in Hamburg wieder der Landesbühne Esslingen zuzuwenden. Und ich hatte das Gefühl, dass es richtiger ist, mich wieder dem Theater zu stellen, als mich weiter in den Kokon meiner Nichttheaterexistenz einzuspinnen. Das wäre mir auf Dauer nicht bekommen. Als ich das erste Mal wieder durch Esslingen gegangen bin, habe ich mir überhaupt nicht vorstellen können, hier wieder zu arbeiten. Aber als dieses „das macht man nicht – man geht doch nicht von Stuttgart, Hamburg nach Esslingen“ in meinem Kopf zur Ruhe kam, fühlte und fühlt sich der Gedanke, an den Ausgangspunkt zurückkehren zu dürfen, sehr gut und fein an. Ein bisschen wie Peer Gynt im fünften Akt, nur fröhlicher. Ich weiß mittlerweile, dass ich eine Zwiebel bin. Das Leben verläuft nicht in Stufen, auch nicht im Kreis, sondern eher wie eine Spirale. Ich sehe es als Geschenk an, in die Atmosphäre eines Hauses, einer Stadt, einer Region zurückkehren zu dürfen, die mir vertraut und fremd zugleich ist. Mit diesem sehr schönen Geschenk will ich achtsam und vorsichtig umgehen.
Der Abschied vom Stufenmodell – welche Folgen hat das für Sie, wenn Sie jetzt wieder neu Theater planen für Esslingen?
Wenn das Leben sich in Spiralen entwickelt, dann ist die Konsequenz daraus, dass ich jetzt wieder an einen Ort komme, an dem ich schon einmal war, aber auf einer anderen Ebene meiner Fähigkeiten, meiner Erkenntnisse – meines Lebens. An das, was ich einst damals dort gemacht habe, kann ich nicht so nahtlos anknüpfen. Ich schaue, ich lese, ich suche und betrachte meine Arbeit in Esslingen auch vom Ende meines Vertrages her. Warum? Dieses Theater wird im Jahr 2019 einhundert Jahre alt. Dieses Jubiläum 100 Jahre Württembergische Landesbühne Esslingen möchte ich erleben, gestalten und dokumentieren. „Ein Jahrhundert wird betrachtet“ – das wird die Spielplanleitlinie unserer Esslinger Jahre sein.
Ihre Gefühle bezüglich der Zukunft in Esslingen?
Es gibt einen schönen Satz bei Horváth im „Figaro lässt sich scheiden“, der geht sinngemäß: Ich hab keine Angst, aber ich hab Respekt vor der Zukunft. Und das trifft es sehr gut. Respekt. //