Magazin
Klarsicht im Nebel
Ein Nachruf auf den Schauspieler Otto Mellies
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Spieler – Das Schauspielhaus Bochum (06/2020)
Assoziationen: Deutsches Theater (Berlin)
Es gibt Klischees, die haften einem lebenslang an. Bei Otto Mellies war es das des kultivierten Sprechers, der eine gediegene Klassikeratmosphäre erschafft. Schuld daran ist vielleicht sein Ferdinand in Martin Hellbergs DEFA-Film „Kabale und Liebe“ von 1959. Ulrich Mühe wusste, nachdem er Mellies als Ferdinand erlebt hatte, dass er nur eins werden wollte: Schauspieler. Er sprach von jener Szene, in der Ferdinand in aufsteigender innerer Unruhe durch den Nebel geht. Das habe ihn erschüttert. Ich sah mir daraufhin den Mitschnitt an und wartete auf den Nebel. Er kam nicht, aber irgendwo musste er doch sein?
Was Mellies auszeichnete, war die Klarheit des Ausdrucks bis dorthin zu treiben, wo sich alles wieder vernebelte. Wo aus den Antworten die Fragen hervorschossen. Kein Pathos ohne Abbruch des hohen Tons, Einbruch des ratlosen Schweigens. Nein, Mellies suchte nicht den Effekt, sein Ausdruck kam aus den Tiefen seiner Figuren. Er konnte deren innerer Zerrissenheit mit Haltung begegnen. Mellies gehörte zu den Schauspielern, die noch Wolfgang Langhoff in den fünfziger Jahren ans Deutsche Theater geholt hatte. Er entsprach dessen Ideal eines jungen Helden (wie auch etwa Horst Drinda). Der Kommunist Langhoff kam aus dem KZ, er wusste, was ein echter und was ein falscher Ton war...