Die europäische Theaterlandschaft zeichnet sich bekanntlich durch einen immensen Reichtum an künstlerischen Perspektiven und strukturellen Differenzen der Theatersysteme aus. Trotz dieser ästhetischen Vielfalt und strukturellen Diversität lassen sich jedoch seit den neunziger Jahren in europäischen Ländern mit einer ausgeprägten Theatertradition ähnliche Tendenzen und Veränderungen beobachten. Diese stehen im Kontext einer Entwicklung, die allgemein als Europäisierung oder auch Internationalisierung des Theaters bezeichnet und häufig mit den Schlagworten Interkulturalität, Mehrsprachigkeit, Sprachtransfer und postmigrantisches Theater in Verbindung gebracht wird. Grundlegend für diese vermeintlich neuartigen Erscheinungen im Theater sind wiederum ineinandergreifende internationale Entwicklungen, wie die Globalisierung des Kapitals, die umfassende Digitalisierung unserer Lebenswelt und die weltweiten Migrationsbewegungen, die in den letzten zwanzig Jahren eine neue Dimension erreicht haben.
Dieser Beitrag versucht in einer kursorisch-essayistischen Bestandsaufnahme die wesentlichen strukturellen und ästhetischen Tendenzen und Entwicklungen der Theaterlandschaft in Europa seit den neunziger Jahren aufzuzeigen und zugleich ihre gesellschaftspolitischen und ökonomischen Ursachen freizulegen.
Zum Zusammenhang von Ökonomie, Kulturpolitik, Theaterstrukturen und Ästhetik
Die Situation, in der sich das Theater in Europa befindet, wird von kulturpolitischen Entwicklungen und ökonomischen Bedingungen bestimmt, die sich auf seine Struktur, Identität und Ästhetik auswirken.1 Wirft man exemplarisch einen Blick auf das deutsche Stadttheater, lässt sich beobachten, dass sich in den letzten...