Theater der Zeit

Realität des Absurden

Der Künstler Aleksandar Denic über seine Bühnen für Inszenierungen von Frank Castorf in Berlin und Bayreuth im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

von Aleksandar Denić und Ute Müller-Tischler

Erschienen in: Theater der Zeit: Aleksandar Denic: Realität des Absurden – Bühnen für Castorf in Berlin und Bayreuth (06/2013)

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Herr Denic, Ihr Werkverzeichnis ist umfangreich und ausgesprochen vielseitig. Sie arbeiten für Film und Fernsehen, als Architekt und Bühnenbildner, auch treten Sie als bildender Künstler und Regisseur in Erscheinung. Wenn Sie es sich aussuchen könnten, wo würde dann der Mittelpunkt Ihrer Arbeit liegen?

Keine Ahnung. Das kann ich eigentlich gar nicht sagen. Ich habe überhaupt keinen Fokus und arbeite in verschiedenen Medien immer gleichzeitig und nebeneinander, egal ob das ein Bühnenbild, ein Film oder Event-Design ist. Mich interessiert die hemmungslose Entgrenzung, das grundsätzliche Cross-over in allen meinen Arbeiten.

 

Da war ein Zusammentreffen mit Frank Castorf ja irgendwann naheliegend. Nach Kafkas „Amerika“ im Zürcher Schiffbau haben Sie kürzlich für dessen Tschechow-Abend „Das Duell“ an der Berliner Volksbühne eine umwerfende Bühnenarchitektur im Stil eines osteuropäischen Dorfes mit Zwiebeltürmchen, viel Holz und bunten Blumentapeten entworfen. Das war für viele ein Nostalgie- Flash. „Ja, die Deutschen“ stand in großer roter Leuchtschrift über der Bühne. Unter welchen Umständen sind Sie dem Deutschen Frank Castorf begegnet?

Ganz ehrlich, das war eher ein Zufall. Wir sind uns vor ein paar Jahren in Belgrad begegnet, mitten in den Verhandlungen über eine Zusammenarbeit des serbischen Nationaltheaters mit der Berliner Volksbühne. Eine Freundin rief mich nachts an und lud mich auf einen Drink ein. Sie sagte, Frank Castorf sei auch dabei. Also dachte ich mir: Wieso eigentlich nicht? Als wir uns dann in irgendeiner Bar trafen, hat sich herausgestellt, dass wir viel gemeinsamen Gesprächsstoff hatten. Es war von Anfang an eine Verbindung zwischen uns da. Natürlich sprachen wir viel über Sport – über Eishockey und solche Sachen. Ich würde sagen, wir verstanden uns sofort bestens.

 

Castorf liebt den Spaß am Denken und wilde Perspektiven auf Theaterstoffe. Auch überrascht er immer wieder mit schrägen Assoziationsketten. Angst vor Konfliktstoffen und aufgeladenen Emotionen hat er jedenfalls nicht. Wie geht es Ihnen damit? Kommt Ihnen dabei die serbische Herkunft entgegen? Unbedingt. Nie war für mich eine Zusammenarbeit so selbstverständlich. Was Castorf und ich gemeinsam haben, ist der postsozialistische Erfahrungshorizont. Das Leben in den Ländern des sogenannten Ex-Jugoslawiens war mehr oder weniger dasselbe wie damals hier nach der „Wende“ am Rosa-Luxemburg-Platz. Dieser Hintergrund wirkt immer noch sehr stark auf uns, ich glaube, das kann man auch nicht übersehen. Eigentlich gibt es gar keine großen Unterschiede zwischen uns außer den paar Hundert Kilometern Abstand. Die Widersprüche und die absurde Paranoia, um die es Frank immer wieder geht, sind in den Teilen Europas, aus denen wir beide stammen, absolut alltäglich und eben überhaupt nicht erfunden. In gewisser Weise leben wir beide schon seit Jahrzehnten in einer Realität des Absurden.

 

Gab es neben den vergleichbaren Erfahrungen in gebrochenen Gesellschaften denn auch künstlerische Differenzen oder andere Herangehensweisen?

Ich arbeite überall. Innerhalb von fast zwei Jahrzehnten war ich an allen möglichen Orten. Als Bühnenbauer und Künstler hat meine Herkunft wahrscheinlich unterbewusst einen Einfluss, aber es gab nie geografische Grenzziehungen für meine Arbeit, ob ich nun in Afrika, in Asien oder auch hier gearbeitet habe. In einer bestimmten Hinsicht versuche ich wie ein Wissenschaftler vorzugehen – ich will entdecken und definieren. Deshalb hatte ich auch nie ein Problem mit dem Kontrast. Und außerdem: Schwarz und Weiß, Tag und Nacht, der Unterschied ist für mich immer attraktiver als das Gleichförmige, das verbindet mich auch mit Castorf. Schwere Aufgaben fordern mich eher heraus und geben mir immer ein Gefühl von Stärke und Macht. Wahrscheinlich bin ich auch durch meine Herkunft an das Turbulente und Krasse gewöhnt. Klar, dass ich auch das versuche in meine Arbeiten einfließen zu lassen. Wie ich finde, funktioniert das sehr gut.

 

Im Sommer kommt „Der Ring“ in Bayreuth auf die Bühne. Wenn schon Oper, dann Wagner, und wenn schon Wagner, dann den „Ring“, sagt Frank Castorf. Die Musiktheaterwelt ist gespannt. Sie werden dort das Bühnenbild machen, was ist Ihre Interpretation des Mythos Wagner?

Vielleicht kann ich Ihnen antworten, indem ich Ihnen beschreibe, wie wir für uns selbst einen Weg nach Bayreuth gefunden haben. Ein zentraler inhaltlicher Aspekt unserer „Ring“-Inszenierung ist das Thema Öl. Dies scheint zwar eher ein Gegenstand moderner Auseinandersetzungen zu sein, aber für mich ist das tatsächlich ein sehr altes Problemfeld. An all jenen geografischen Orten, die in unserer Inszenierung Schauplatz sind, scheint sich strategisch, geografisch, zum Teil sogar politisch nichts verändert zu haben. Wir machen ja eine historische Reise von einem Ort zum nächsten und springen durch die Zeiten – von den Fünfzigern über die Sechziger in die Siebziger, von Baku über Texas bis zur Berliner Mauer. Am Ende entscheiden in der Geschichte nicht das politische Handeln oder die strategischen und geografischen Parameter, sondern der Börsenkurs, der ist letztlich das Einzige, was zählt.

 

Wie wollen Sie das gestalterisch umsetzen?

Ich kann Ihnen nicht viel verraten. Auf jeden Fall wird der Chor auf einer drehbaren Fläche untergebracht sein, ebenso wie die Ringe, in einem ewigen Kreislauf sozusagen. Aber ich möchte eigentlich noch nicht so viel darüber sagen.

 

Es heißt, dass Sie die Wall Street und den Berliner Alexanderplatz als Spielorte nutzen wollen.

Das stimmt. Man wird aber auch Baku am Anfang des 20. Jahrhunderts sehen, das die Ölsuche für sich entdeckt hat. Im Hintergrund tauchen die Berggipfel vom Kaukasus auf.

 

Auch ein Bild aus der Götterwelt. Tektonisch ist der Kaukasus von der Verschiebung der Arabischen Platte gegen die Eurasische Gebirgsplatte bestimmt und deshalb Erdbebengebiet. Wir werden wohl einen erschütternden „Ring“ zu sehen bekommen?

(lacht) Vielleicht. Wagners apokalyptische Untergangsstimmung hat für uns geradezu eine visionäre Dimension. Ich denke, der Augenblick ist wunderbar für Wagners „Ring“. Seine Musik passt ideal in die gegenwärtige Krisensituation und wirkt ausgesprochen inspirierend auf mich.

 

Im Oktober werden Sie die Bühne für Franks Castorfs „Reise ans Ende der Nacht“ von Louis-Ferdinand Céline in München ausstatten. „Das Duell“ an der Volksbühne spielt an der Küste des Schwarzen Meeres in einem kaukasischen Dorf. Umgeben ist es von haufenweise schwarzer Steinkohle, der modernen Energiequelle vor dem Erdöl. Kann man sich da einen Zusammenhang zwischen Ihren Arbeiten denken?

Ja, darauf lege ich auch immer Wert. Ich hinterlasse Geschichten an allen Orten. Ebenso wie Frank Castorf. Als ich noch beim Film arbeitete, wollte ich in jedem kleinsten Frame die Geschichte der vorangegangenen Momente sichtbar werden lassen. Auf diese Weise erzeugt man eine Kontinuität, die es dem Zuschauer ermöglicht, meine Arbeiten besser zu verstehen. Ich denke, dass mein gesamtes künstlerisches Werk dieser Nähe und Einheit mit dem Publikum zu folgen versucht. Ansonsten wäre es in meinen Augen nutzlos.

 

Kann man Ihr ästhetisches Konzept mit dem etwas aus der Mode gekommenen Begriff des Realismus in Verbindung bringen? Oder ist es vielleicht eine Art Postrealismus, mit dem sich Ihre Arbeit beschreiben lässt?

Mag sein, aber auf den zweiten Blick verbinden meine Arbeiten etwas Unvereinbares. Die Strukturen, die ich vorfinde, kann ich nur in einer Art hyperrealistischem Stil wiedergeben. Doch wenn der Zuschauer mir erst einmal in diese hyperrealistische Welt gefolgt ist, stellt er fest, dass dies irreale, unmögliche Orte sind. Vielleicht ist das meine stilistische Zielsetzung der letzten Jahre. So war es auch in Paris bei „Die Kameliendame“. Dort teilte ich die Welt in zwei Teile, den Sarkozy-Glamour und die Favela del Mundo, ein Symbol für die Elendsorte dieser Welt. Andererseits gab es immer Wege von der einen Seite zur anderen. Auf bestimmte Weise sind beide Welten einander sehr ähnlich, und das ist es, was mich interessiert: unmögliche Strukturen in einem Gewand des Realismus. Und so wird auch mein Berliner Alexanderplatz in Bayreuth.

 

Wer Ihre Bühnenarbeiten gesehen hat, der wird zwangsläufig an die Filme von Emir Kusturica erinnert, mit dem Sie zuweilen zusammengearbeitet haben.

Finden Sie? Das freut mich. Ich habe mit Kusturica an „Underground“ und „Super 8 Stories“ gearbeitet. Letzterer ist halb Dokumentar-, halb Spielfilm über Emir Kusturicas Band The No Smoking Orchestra, der zum Teil auch an der Volksbühne gedreht wurde, in Form eines Konzertmitschnitts. Es gibt also einige Überschneidungen zwischen Kusturicas Arbeitsweise und der von Frank Castorf und mir. Abgesehen davon, dass der eine vom Film kommt, sind wir alle an der Dimension Wirklichkeit interessiert.

 

Die Authentizität der Emotionen und der poetischen Überwirklichkeit ist das, was einen bei Kusturica so umhaut.

Ja, und zwar ohne Zurückhaltung und von ganzem Herzen. Das finde ich mutig.

 

Bei Kusturica spielt Musik immer eine große Rolle. Wie ist das bei Ihnen?

Natürlich ist Musik wichtig. Zum Beispiel in Zürich bei der Inszenierung von „Amerika“. Frank kam auf die Idee, Gipsy-Musiker in das Boot auf dem Weg von Europa nach Amerika zu setzen. Es gibt ja dieses tolle Gipsy-Lied über die Kinder, die zu Hause sind und ein Foto des Vaters betrachten, der sich in Amerika aufhält. Und im Refrain heißt es dann: „verfluchtes Amerika“. Castorf fragte mich, ob ich eine solche Band kenne. Und natürlich kannte ich eine, da ich bei der Arbeit an „Underground“ viel mit solcher Musik in Berührung kam. Ich rief einen Freund an, einen Manager für Weltmusik, und er empfahl uns das Orchester von Bojan Krstic. Deren Version von „In America“ war großartig, noch besser fand ich allerdings ihre Interpretation der „Walküre“ auf Blechblasinstrumenten.

 

Eine beflügelnde Vorstellung – die Gipsys als fahrendes Volk über den Globus verteilt und doch bleiben sie immer sie selbst. Mal sehen, ob die auch in Bayreuth auftauchen.

(lacht) Wer weiß? Das Logo der Volksbühne jedenfalls ist ein Zeichen der Vagabunden. Wenn man sich die Beine wegdenkt, wird es zu einem Symbol der Gipsys. //

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