Symbolisierungsakt und heroische Öffentlichkeit
Thesen zur politischen Wirksamkeit von Milo Raus Theaterarbeit
von Rolf Bossart
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Aus Anlass des Richard-Wagner-Jubiläumsjahres 2013 gab es im Festsaal des geschichtsträchtigen Hotel Waldhaus in Sils-Maria/Schweiz eine Gesprächsrunde zum „Genie Wagners“, an der auch der Regisseur Milo Rau teilnahm. Der Musikwissenschaftler Stefan Wirth vertrat die Ansicht, das musikalische Genie Wagner sei zu trennen von seinen Schriften und Interventionen, mit denen er die Welt „besser verschont hätte“. Dagegen wehrte sich die Wagner-Biografin Kerstin Decker vehement und zitierte emphatisch Nietzsches Wort von Wagner als dem „vollsten Menschen“. Dies wiederum fand Ted Gaier, Musiker bei der Hamburger Band „Die goldenen Zitronen“, völlig verfehlt, seien doch Begriffe wie Genie, Gesamtkunstwerk und dergleichen für alle Zeiten durch den grauenvollen Heroenkult in der deutschen Geschichte obsolet. Die Vorstellung, dass ein einzelner Mensch oder ein einzelnes Werk es reißen könne, produziere nur immer von Neuem totalitäre Exzesse.
In komprimierter Form war in diesen drei Statements die deutsche Geistesgeschichte der letzten zweihundert Jahre und ihre Ausweglosigkeit zu besichtigen. Auf die bürgerlich-rationale Wissenschaft, die ihren Harmonieglauben durch Trennen und Verdrängen aufrechterhält (Wirth), folgt als Gegenbewegung die romantisch verklärende Affirmation des Ganzen (Decker), worauf als einzige Position nur noch die allgemeine Negation als Verweigerung, als Fragment oder als Dekonstruktion übrigzubleiben scheint (Gaier). Es war in dieser Diskussion Milo Rau vorbehalten, mit...