Theater der Zeit

Georg Lukács und das Theater

von Erik Zielke und Jakob Hayner

Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)

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»Das Traurige an der jetzigen Lage ist, dass wir, anstatt an dem außerordentlichen Palast des Denkens, den Lukács errichtet hat, weiterzubauen, immerfort noch damit beschäftigt und gezwungen sind, diese elende Pepsicola-Reklame aus dem Weg zu räumen. Wie Lukács müssen wir Zeit verschwenden, die Décadence zu widerlegen, anstatt den Realismus, was unsere ausschließliche Aufgabe sein sollte, besser zu begründen.« Peter Hacks

Georg Lukács (1885–1971) hat das ästhetische Denken des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer geprägt. Sein frühes Werk »Die Theorie des Romans« gilt noch heute als Klassiker einer geschichtsphilosophischen Ästhetik und beeinflusste eine gesamte Generation, mit »Geschichte und Klassenbewusstsein« verfasste er ein Schlüsselwerk des westlichen Marxismus. Zeitlebens interessierte sich Lukács für das Theater als Kunstform – von seinen Anfängen als Theaterkritiker über Schriften wie »Zur Soziologie des modernen Dramas« bis zu den geistreichen Studien über einzelne Theaterautoren. Verweise auf das Theater finden sich in all seinen ästhetischen Schriften, wie auch die Auseinandersetzung mit einem Theaterneuerer wie Bertolt Brecht beispielsweise in den Debatten um den Realismus in den 1930er Jahren von kaum zu unterschätzender Bedeutung war. Doch spielt Lukács heute für das Theater kaum mehr eine Rolle – wie auch seine späte systematische Ästhetik kaum eine Würdigung erfahren hat. Dem vorliegenden Band liegt die Überzeugung zugrunde, dass es sich lohnt, Lukács und sein Programm eines dialektischen Materialismus für das ästhetische Denken und das Theater wiederzuentdecken.

Georg Lukács’ Texte zum Theater sammeln zu wollen ist ein fast maßloses Anliegen. Wo anfangen – und wo ein Ende finden? Der vorliegende Reader unterscheidet zwischen Texten zur Ästhetik, zum Realismus und zur Theatergeschichte. Doch schon bei der Lektüre der hier getroffenen Auswahl dürfte auffallen, dass diese Aspekte im Werk von Lukács eng zusammenhängen, aber jeweils andere Schwerpunkte gesetzt werden. Wie bei jedem anthologischen Arbeiten standen wir auch für die Erstellung des vorliegenden Buchs vor der Herausforderung, nicht nur eine Auswahl zu treffen, sondern auch – auf hoffentlich kluge Weise – Auslassungen vorzunehmen. Die gesammelten Texte 7 stammen aus den 1930er bis 1960er Jahren, klammern also das Frühwerk aus. Auch Wesentliches musste der Beschränkung zum Opfer fallen. Anderes, das Aufnahme gefunden hat, ist nicht (nur) für das Theater und seine Anhänger geschrieben worden, sondern reicht darüber hinaus und betrifft weitere oder sämtliche Künste. Die hier abgedruckten Schriften sind eine Auswahl derjenigen Texte, von deren Gültigkeit für eine reflektierte Theaterkunst wir überzeugt sind.

Die Rezeption von Lukács’ Werken ist von Brüchen und Rückschlägen gekennzeichnet. Seine intellektuelle Eigenständigkeit innerhalb der kommunistischen Bewegung war für Dogmatiker im Osten teils schwer erträglich, im Westen erfreute er sich sowieso nur einer kurzen Beliebtheit. Sowohl antisemitisches Ressentiment und antikommunistische Engstirnigkeit als auch bürgerliches Vorurteil und stures Beharren auf einem maßgeschneiderten »sozialistischen Realismus« machten es dem Philosophen schwer. Im heutigen Ungarn wird Lukács’ aufklärerisches Denken in der Tradition des jüdisch-europäischen Humanismus verdrängt und bekämpft. Eine Statue des Philosophen in Budapest wurde abgebaut, das Archiv mit seiner Nachlassbibliothek und den Manuskripten wurde für die Öffentlichkeit verschlossen und das Personal entlassen. Aber auch hierzulande kommt Lukács akademisch kaum noch vor, seine Schriften sind darüber hinaus kaum bekannt und teils schwer zugänglich. Anlässlich des 50. Todestags von Georg Lukács soll es also nicht nur um das Gedenken gehen, sondern auch um eine Wiederaneignung seines Denkens. Eine lebendige Auseinandersetzung geht in die Diskussion, sucht nach Anschlüssen und unabgegoltener Aktualität.

Wir danken dem Hauptstadtkulturfonds für die großzügige Förderung des Gesamtprojekts »Re-reading Lukács – staging theory. Georg Lukács und das Theater«. Gedankt sei außerdem dem Literaturforum im Brecht-Haus und dem Verlag Theater der Zeit für die Zusammenarbeit, dem Aisthesis Verlag und der Erbengemeinschaft von Georg Lukács für die Abdruckgenehmigung und die Unterstützung, Dietmar Dath und Bernd Stegemann für Ihre Beiträge und Anregungen, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Werkstatttage im Literaturforum im Brecht-Haus zum Thema »Georg Lukács und das Theater« im Juni 2021 für ihre Bereitschaft, sich mit den Schriften des ungarischen Philosophen auseinanderzusetzen und noch immer relevante Fragen an Kunst und Gesellschaft wieder in die Öffentlichkeit zu tragen. Und mit Thomas Brasch gesprochen: Wir danken den Verhältnissen für ihre Widersprüche.

Berlin, Mai 2021

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