Theater der Zeit

Von Hegels kolonialer Metapher zur Ästhetik

von Julius Heinicke

Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)

Assoziationen: Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Aus kunst- und kulturwissenschaftlicher Sicht erscheint es sinnvoll, die kritische Befragung der Phänomenologie des Geistes hinsichtlich kolonialer Mechanismen auf die Vorlesungen über die Ästhetik auszuweiten, was bis dato nicht geschehen ist.33 In den Vorlesungen werden Kunst und Kultur als Abbild des jeweiligen Entwicklungsstands des (Selbst)Bewusstseins einer Gesellschaft definiert. Sie begreifen Ästhetik als Scheinen der Idee, als Verkörperung des oszillierenden Selbstbewusstseins. Ästhetik wird so zur (kultur)politischen Messlatte. Obwohl Hegel wie viele seiner Zeitgenossen die griechische Klassik zum Ideal erhebt, deren gleichförmige Gesetzmäßigkeiten lange Zeit die Kultur in Europa als Norm maßgeblich bestimmt haben, entwickelt sich Kunst diesem Verständnis nach parallel zum Bewusstsein des Geistes weiter. Das Ästhetische ist somit Ausdrucksort des Hegel’schen fortschreitenden, sich weiterentwickelnden Geistes. Im Gegensatz zu anderen Überlegungen über das Kunstschöne seiner Zeit, aber auch zu gegenwärtigen Beobachtungen der Ästhetisierung der Lebenswelt, die ohne jegliche gesellschaftspolitische Verbindung oder Aussage auskommen können, sind Hegels Vorlesungen über die Ästhetik so gesellschaftspolitisch in hohem Maße relevant; insbesondere, da der Verfasser diese mit einer Subjektkonstitution kombiniert, welche deutlich koloniale Züge in sich trägt.

Eine erneute Betrachtung von Hegels Phänomenologie des Geistes und seinen Vorlesungen über die Ästhetik erscheint so aus zweierlei Gründen sinnvoll: Einerseits sind in der Phänomenologie Strukturen eines kolonial-bürgerlichen...

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