(Sehn-)Süchte im Klanggrund
von Matthias Däumer
Erschienen in: Recherchen 127: Darstellende Künste im öffentlichen Raum – Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen (12/2017)
Assoziationen: bodytalk
I
Die Ex-Hauptstadt hat ein Problem. Und ganz im Stile des finalen Jahrzehnts der kohlgewichtigen Hauptstadtgröße reagiert sie: Sie verbietet es! Mit den Handzetteln und Presseinformationen kursieren am Bonner Loch (das eigentlich niemand bei seinem offiziellen, eichendörffelnden Namen als „Klanggrund“ bezeichnen würde) von der Polizei Nordrhein-Westfalen gedruckte Flyer, die darauf hinweisen, dass an dieser gegenüber des Hauptbahnhofs klaffenden Tiefebene der Alkoholkonsum strengstens verboten ist. Schon das Mit-sich-Führen sei strafbar, „wenn aufgrund konkreter Umstände die Absicht erkennbar ist, [die Alkoholika] im Geltungsbereich der Verortung konsumieren zu wollen“. Immerhin druckt man der Rechtsgrundlage auch die Namen entsprechender Hilfsorganisationen zur Seite.
Den konkreten Umständen des Bonner Lochs ist aber durch Verbote nicht beizukommen. Es bedarf einer anderen Methode. Und so sind es diese Umstände, denen sich die Tanzgruppe bodytalk annimmt: Das Stein- und Betonbecken ist schon seit mehreren Jahrzehnten der Wohn- und Schlafort der Bonner Drogenszene, gestrandeter Alkoholiker und Obdachloser. Man geht heute, falls man Lust auf ein Bier hat, einfach ein paar Meter weiter zum Busbahnhof. Ansonsten hat sich durch das Verbot nicht viel daran geändert, dass die Tiefebene denen ein Zuhause ist, die keines mehr haben. bodytalk hat auf den aufsteigenden Steinpodesten eine Musikanlage errichtet, die Live-Kompositionen und Einspielungen verstärkt, sodass...