Theater der Zeit

Auftritt

Liechtenstein: Mit Bärfuss und Dylan

Theater am Kirchplatz: „Dantons Tod – Der Auftrag“ von Georg Büchner / Heiner Müller. Regie Oliver Vorwerk, Ausstattung Alexander Grüner

von Bernd Doppler

Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)

Assoziationen: Europa Theater am Kirchplatz

Karin Pfammatter als Robespierre in „Dantons Tod / Der Auftrag“ von Georg Büchner / Heiner Müller in der Regie von Oliver Vorwerk am TAK Theater Liechtenstein.
Karin Pfammatter als Robespierre in „Dantons Tod / Der Auftrag“ von Georg Büchner / Heiner Müller in der Regie von Oliver Vorwerk am TAK Theater Liechtenstein.Foto: Ilja Mess

Anzeige

Anzeige

Nebelig dunkel, menschenleer die gerade acht Kilometer lange Anfahrt von der österreichischen Grenze zum Theater; alle Lokale bereits geschlossen, mag sein infolge der Pandemie oder wegen Energieeinsparung. Doch das Fürstentum Liechtenstein, der sechstkleinste Staat der Welt, aber gleichzeitig wohl einer der reichsten, unterhält in der Gemeinde Schaan sein eigenes Theater. Im TAK, dem Theater am Kirchplatz, in einem in eine Spielstätte umgewandelten Vereinshaus, herrscht dann doch ein bisschen Leben; vor allem zwei Schulklassen mit ihren Lehrern fallen auf. Dass man wenige Menschen hier abends treffen könne, erklärt Dramaturg Jan Selke, habe nicht nur damit zu tun, dass vor allem Briefkastenfirmen hier ihre Adresse haben, sondern dass auch die hier arbeitenden Büroangestellten in der Regel nicht Bürger des Fürstentums sind, sondern abends wieder nach Österreich und in die Schweiz zurückfahren. Ein Drama zur Welt­revolution, ihrer Notwendigkeit, ihren damit verbundenen Hoffnungen und ihrem immer wiederkehrenden Scheitern ausgerechnet hier in diesem Zwergstaat als programmatische Eröffnungspremiere?

In den napoleonischen Koalitionskriegen lag das kleine Fürstentum ja durchaus nicht abseits, sondern war tödliches Schlachtfeld, und vor der Revolution besuchte es, wie stolz eine Schrifttafel zeigt, auch Goethe. Und auch das Theater zeigte vor allem in den achtziger Jahren unter dem Theaterrebellen Alois Büchel internationale Präsenz und ­zuletzt wieder vermehrt. So wird es in der Spielzeit 2022/23 unter anderem mit dem Staatstheater Hannover (Stefan Kimmigs Inszenierung „Der Volksfeind“), dem Thalia Theater Hamburg (Stefan Puchers „Eurotrash“) und dem Theater Basel (Antù Romero Nunes‘ „Moby Dick“) kooperieren. Dennoch ist es Intendant Thomas Spieckermann wichtig, auch ein eigenes eingeschworenes Liechtensteiner Ensem­ble zu bilden, um auf diese Weise längerfristig Kontakt zwischen Theaterleuten mit der indigenen Bevölkerung (den Einheimischen) herzustellen. „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier“ ist sein Spiel­zeitmotto.

Büchners Revolutionsdrama mit Heiner­ Müllers „Der Auftrag“ zu verzahnen, legt schon dessen Untertitel „Erinnerung an eine Revolution“ nahe und wurde schon öfter, zuletzt im Schauspiel Graz von Jan-Christoph Gockel, durchexerziert. Auch Büchners Drama ist aus nachrevolutionärer Perspektive, vierzig Jahre nach der Herrschaft der Revolutionsregierung, geschrieben, und in ihren oft zynischen geschichtsphilosophischen Aphorismen kommen sich beide Autoren oft nahe. Büchners Montagetechnik, authentische politische Redemanuskripte in das Drama einzubetten, führt die ambitionierte Textfassung des Intendanten konsequent weiter. Spieckermann reduziert in seiner Textfassung der beiden Stücke „Dantons Tod“ um die Figuren aus dem Volk, aktualisiert bisweilen und hat dabei Büchners Frauenfiguren Statements der männlichen Politiker zugedacht. Auf ­einem zweistöckigen Baugerüst (Ausstattung: Alexander Grüner) inszeniert Oliver Vorwerk daher in vielen Schattierungen und Positionen eine Partitur – mit brüllenden, weiner­lichen, anklagenden Stimmen, die schließlich, wenn die Köpfe unter der Guillotine fallen, zum Abgesang werden. „Jetzt fahren wir über den See“, singen alle vor ihrem ­Abtreten, die Figuren in schäbig nacharistokratischen zeitlosen Kostümen. Karin Pfammatter als Robespierre in kurzen Hosen und viel zu langem Rock erinnert dabei an Charlie Chaplins „Großen Diktator“, während Oliver Reinhard sich weniger als Genussmensch, sondern vielmehr als Choleriker Gehör verschafft. Mit Heiner Müllers Monolog „Mann im Fahrstuhl“, der nie, wie bestellt, beim Chef ankommt, sondern sich plötzlich in ­einer surrealen südamerikanischen Landschaft findet, setzt Reinhardt einen komödiantischen Höhepunkt. Den Ton schlägt aber gleich zu Beginn Karin Ospelt an, zunächst mit Bob Dylans „The Times They Are A-Changing“, dann mit Greta Thunbergs Rede auf der Uno-Konferenz. Im Mittelpunkt eine gerade ein halbes Jahr alte Rede: im Mai 1922 von Lukas Bärfuss zum Jubiläum der Bundeskulturstiftung gehalten. Sein Plädoyer für Nachhaltigkeit, für Transformation, für Freiheit und Kunst, gegen Wachstum und Profit findet tatsächlich ausgerechnet hier im Theater am Kirchplatz ihren wirkungsvollen Ort. Auch die Schülerinnen und Schüler scheinen keineswegs übernstrengt trotz der Länge des Abends ­auf­merksam mitzugehen. Die Presse des Fürs­tentums bleibt allerdings gespalten: „Suhlen in selbstgerechter Moral“, ätzt das Liechtensteiner Vaterland, während das Volksblatt Liechtenstein „sprachlos“ ist – aber das sei ein „Kompliment“ – und von einer „Herz- und Hirnmassage“ schwärmt. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"