Der alte Mann auf dem geblümten Sofa strahlt auch mit 102 Jahren noch eine Lebensfreude aus, wie sie manch Jüngerer schon lange verloren hat. Hinter seiner großen Brille blitzt ihm der Schalk aus den Augen, mit selbstironischer Sorgfalt kämmt er seine letzten Haare zu etwas, was er einen Scheitel nennt. Doch nachts, erzählt er, holt ihn manchmal die Erinnerung ein. Der Krieg, in dem er einst Soldat war. Es ist keine schöne Erinnerung. „Inwiefern Gott das so gemacht hat, dass wir immer noch in der Vergangenheit leben oder mit der Vergangenheit, das weiß ich nicht“, sagt er. „Ich hoffe, dass er uns einmal befreit. Aber das ist dann, glaube ich, erst mit dem Tod der Fall.“
Gerhard Gläser, so heißt dieser sehr alte Mann – ein ehemaliger Pfarrer von der Schwäbischen Alb –, ist der heimliche Held einer Online-Premiere am Nationaltheater Weimar. Weil die eigentlich geplante Bühneninszenierung wegen der Corona-Pandemie unmöglich wurde, hat Regisseur Marcel Kohler aus Wolfgang Borcherts Heimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ einen Film gemacht. Keine abgefilmte Aufführung, sondern ein eigenständiges filmisches Werk. Intelligent, anregend und von Kameramann Christoph Hertel souverän in Bilder umgesetzt. Und dennoch: So berührend wie in den Gedanken, die Gerhard Gläser im dokumentarischen Prolog...