Die Möglichkeit einer Insel
von Daniel Kahn
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Die erste Performance, an der ich am Ballhaus Naunynstraße mitgewirkt habe, war Die lange Nacht des gebrauchten Juden – eine Mischung aus Lesung und Konzert, inspiriert von Maxim Billers Roman Der gebrauchte Jude. Ich habe ein paar Songs gesungen, an denen ich mit meiner Berliner Band The Painted Bird gearbeitet hatte, „6 Million Germans“, „Inner Emigration“, dazu ein bisschen jiddische Musik. Damals habe ich gar nicht wirklich begriffen, wie einzigartig dieser Ort und diese Community waren, die Shermin Langhoff geschaffen hatte. Ich dachte: Solche Räume gibt es überall in Berlin. Aber so war es nicht. Nirgends gab es etwas Vergleichbares. Das Ballhaus hatte eine unglaublich radikale Energie, diesen wilden Mix aus Politik, Poesie und Experimentierlust. Die Leute kamen von überall her, aus der ehemaligen Sowjetunion, aus dem Mittleren Osten, aus Südamerika. Ich war der einzige US-Amerikaner, habe meine amerikanische und meine jüdische Perspektive mitgebracht. Man konnte dort in den Dialog mit Menschen kommen, mit denen man sonst nie ein Gespräch begonnen hätte. Ich habe mich augenblicklich zuhause gefühlt – in meinem ganz eigenen Anderssein. Damals hing dieses Plakat an der Bürotür: „Identität ist die Krise“. Das gefiel mir.
Das erste Stück, in dem ich auf der Bühne stand, war ...