Auftritt
Theater Pforzheim: Die Freiheit finden im Sternenhimmel
„Silent Sky“ von Lauren Gunderson (DSE) – Regie Tom-Henry Löwenstrom, Ausstattung Esther Bätschmann, Komposition und Sounddesign Till Meiler
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Theater Pforzheim

Wenn sie in den Sternenhimmel schaut, ist die junge Wissenschaftlerin Henrietta Leavitt angekommen. Sie hat es geschafft, am berühmten Harvard Observatory eine Stelle zu bekommen. Um das Jahr 1900 habe Frauen da allerdings kaum Chancen. Sie dürfen den Sternenhimmel katalogisieren. Das Sternenteleskop aber ist für sie tabu. Diese Geschichte erzählt die amerikanische Dramatikerin Lauren Gunderson in ihrem Stück „Silent Sky“. Der junge Regisseur Tom-Henry Löwenstrom hat das „well made play“ der amerikanischen Dramatikerin als berührendes Traumspiel in Szene gesetzt.
Von der Decke der Nebenspielstätte Podium hängen kleine Lampen. Esther Bätschmann hat einen Bühnenraum geschaffen, der Assoziationen an das Universum weckt. Unter diesem unendlichen Raum lebt Henrietta in ihrer eigenen, engen Welt, die Frauen den Weg in die Familie vorzeichnet. Klug spielt die Ausstatterin mit dem Kontrast zwischen den Weiten des Universums und dem Gefängnis einer bürgerlichen Existenz Anfang des 20. Jahrhunderts in den Oststaaten der USA. Wohnzimmerkitsch und ein Klavier engen die junge Frau ein, die weit hinaus will in die Welt. Und auch ihr zunehmender Gehörverlust bereitet Probleme.
Spielfreudig trägt die junge Schauspielerin Tabea Mewis ihre Figur über diese Grenzen weg. Sie tanzt über die Bühne. Wenn sie von der Wissenschaft spricht, strahlt sie übers ganze Gesicht. Dieses Feuer steckt an. Mewis stattet ihre Figur nicht nur mit Selbstbewusstsein aus. Klug zeigt sie die Barrieren, unter denen die Wissenschaftlerin leidet. Im Kreis der Frauen, die mit ihr die wissenschaftliche Basisarbeit leisten, fühlt sie sich aufgehoben. Liebevoll nimmt sie Williamina Fleming, ehemals Haushälterin des Institutsleiters, in den Kreis auf. Leslie Roehm legt ihre Figur mit viel Herz und erfrischender Tatkraft an. Arrogant begegnet ihr dagegen die ambitionierte Annie Cannon, die Leiterin der Photometrie. Nika Wanderer zeigt sie anfangs als eine harte Frau, die unter den männlich dominierten Hierarchien im Wissenschaftsbetrieb leidet. Dann aber lernt sie, selbstbewusst für ihre Rechte zu kämpfen.
Die spannendste Entwicklung macht Joanna Lissai in der Rolle von Henriettas Schwester Margaret. Zunächst versteht sie die Schwester nicht, die Familie und bürgerliches Leben hinter sich lässt, um als Wissenschaftlerin zu arbeiten. Später gelingt es ihr, die geliebte Schwester zu verstehen. Sie ebnet ihr Wege. So legt die Dramatikerin Anderson spannende Entwicklungspotenziale in ihren Figuren an, die die Spielerinnen in Pforzheim mit Leben erfüllen. Die Widersprüche seiner Figur legt auch Max Ranft offen. Sein junger Forschungsassistent ist ein leidenschaftsloser Arbeiter, dem Henriettas Kreativität und Begeisterung fehlen. Anfangs lässt er sich in die Liebe zu der jungen Frau fallen. Dann entscheidet er sich für eine Zweckehe.
Tom-Henry Löwenstrom gelingt es nicht nur, den Spieler:innen Freiräume zu schaffen. Der junge Regisseur findet in Gundersons allzu gefällig gestricktem Stück Tiefenschichten, die er mit dem Pforzheimer Ensemble austariert. Gerade Max Ranft, der die einzige männliche Rolle im Stück verkörpert, geht da lustvoll mit. Hinter der smarten Fassade des jungen Wissenschaftlers fletschten Arroganz und Frauenfeindlichkeit die Szene. Eiskalt macht er sich das wissenschaftliche Know-How der Frauen zunutze, die er aus der eigentlichen Forschung drängt. Dass Henrietta es dennoch schafft, das Geheimnis der Cepheiden und damit der Unendlichkeit zu lüften, liegt an ihrer eigenen Kraft.
In den USA sind Lauren Gundersons Stücke sehr populär. Aus der Sicht des deutschen Regietheaters erscheinen ihre Texte oft zu sehr in schlichten Narrativen verhaftet. Da geht die Dramatikerin, die unter anderem junge Dramaturg:innen ausbildet, zu stark nach einem vorgefertigten Schema vor. Andreas Frane, Schauspieldirektor des Theaters Pforzheim, hat die Dramatikerin entdeckt und den historisch aufgeladenen Text frisch und schnörkellos ins Deutsche übersetzt. Die Zwischentöne aufzuspüren, gelingt ihm. Regisseur Tom-Henry Löwenstrom spielt mit den Möglichkeiten, die die Vorlage bietet. Dass es er es schafft, die Tiefenschichten vor allem in der Figurenkonzeption zu Tage zu fördern, liegt nicht zuletzt an der mitreißenden Komposition des Sounddesigners und Komponisten Till Meiler. Er stürzt die Akteur:innen mit wilden Klanglandschaften in die Abgründe hinein, die der Text nur anreißt, aber nicht öffnet. Das geht unter die Haut.
Erschienen am 20.10.2025