Theater der Zeit

(Ge-)Denken auf der anderen Seite des Spiegels

von Matthias Däumer

Erschienen in: Recherchen 127: Darstellende Künste im öffentlichen Raum – Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen (12/2017)

Assoziationen: Freies Theaterteam Karen Breece

I

Das Publikum wartet vor der Schranke der Bereitschaftspolizei, als zwei Busse mit den Aufschriften „Dachau“ und „Prozesse“ vorfahren. Beim Einsteigen erhält man einen Funkkopfhörer und fährt auf das Gelände der Bereitschaftspolizei. Dieses Areal war ursprünglich die SS-Siedlung Dachau, die direkt an das ehemalige Konzentrationslager angrenzte. In letzterem hat sich heute merklich ein ritualisierter Zustand von Gedenken eingestellt, eine sich tagtäglich wiederholende audiogeguidete Abstumpfung. Im Gegensatz dazu ist das nun befahrene Gebiet im Normalfall Tabu. Schaut man auf die historischen Gebäude vor dem Busfenster, erkennt man auch, warum: Die SS-Siedlung war eine architektonische Schönheit, inklusive Gemüse- und Tiergarten, mit dem Charakter eines militärischen Naherholungsgebiets. Dieser Charakter verbreitet im Kontrast zum Lager eine Häme (auch zu beobachten am berühmten Torspruch „Arbeit macht frei“), die an Grausamkeit den Taten der hier arbeitenden und wohnenden SS-Familien in nichts nachsteht. Die zwischen dem Alten errichteten modernen Nutzbauten der Bereitschaftspolizei vermögen das kaum zu verschleiern.

Durch das Gebiet fahrend lauscht man der Parallelmontage zweier Augenzeugenberichte: Walter J. Fellenz, Oberst des amerikanischen Rainbow-Trupps, der am 29. April 1945 die überlebenden Häftlinge Dachaus befreite, und Lisa Weiß, die Ehefrau von Martin Gottfried Weiß, der von September 1942 bis Oktober 1943 die Position des Lagerkommandanten innehatte. Beide Berichte...

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