Vorgestellte Räume, empfundene Räume
von Horst Hawemann
Erschienen in: Recherchen 108: Horst Hawemann – Leben üben – Improvisationen und Notate (03/2014)
Was man nicht konkret oder materiell herstellen kann oder will, das kann man vorstellbar machen. Die Phantasie schafft und füllt Räume, die durch das Handeln in ihnen erkennbar werden:
Ein überhitzter, stickiger, miefiger Raum
Ein winddurchwehter, zugiger Raum
Ein duftender Raum
Ein gespenstischer Raum
Eine „heilige Halle“
Ein Tanzsaal
Ein geheimnisumwobener Raum
Freies Feld mit unendlicher Aussicht
Wüste (Himmel – Hölle – leeres Paradies)
Ein verlorengegangener oder wiedergefundener Raum
usw.
Man kann auch die Decke des Raumes mit vorgestellten Gegenständen behängen (zum Beispiel mit dem Schwert des Damokles) oder konkrete Gegebenheiten der Architektur spielerisch verwandeln. Zum Beispiel: eine Säule im Raum hat zwei Seiten. Die eine steht für die Moral, die andere für die Lust. Oder: Der Vorhang im Hintergrund gibt einem Spieler Kraft. Wendet er sich gegen ihn, verliert er seine Souveränität usw. Solche Räume können durch Raumimprovisationen sinnlich vorstellbar und erfahrbar gemacht werden. An den Anfang einer Probe gestellt, bewegen sie die Phantasie und schaffen mit ihrer Beteiligung szenische Möglichkeiten für ein Ausprobieren.
Nummer: In die Ecke gestellt oder Der Raumgefühlsbericht
Eine Spielerin betritt einen durch nichts gekennzeichneten Raum. Zuseher verändern durch Zuruf die Innenarchitektur:
„Wand direkt vor dir!“
„Tür!“
„Stufen!“
„Niedriger Balken!“
„Noch einer!“
„Und noch einer!“...