Als Mensch eine glatte Eins plus
von Heinz Strunk
Erschienen in: backstage: HÜBNER (01/2023)
Assoziationen: Akteure Charly Hübner
Alles Geheime steht im Gesicht.
BOTHO STRAUSS
Ich habe Charly kennengelernt, bevor er berühmt wurde, es muss 2009 gewesen sein, als ihn der Regisseur Lars Jessen für die Rolle des Bernd Würmer in dem Kurzfilm Jürgen vorschlug, der dann 2017, in der neunzigminütigen Fassung (was lange währt, wird endlich gut), mit der Goldenen Kamera als bester Fernsehfilm bedacht wurde. Der Jürgen-Kosmos lag bereits in Form von Kurzhörspielen vor, besagten Bernd Würmer hatte ich mit einer sehr speziellen nuschelnd-feuchten Aussprache versehen, und um diese möglichst genau zu treffen, hatte Charly sich Taschentücher oder so was in die Backen gestopft. Ungewöhnlich genaue Vorbereitung, dachte ich, und war einigermaßen beeindruckt.
Ich möchte bei der Gelegenheit mal ein paar wohlgehütete breaking news, hot gossips, cheesy secrets preisgeben: Besitzt jemand Schauspieltalent, so kann sie oder er einen Text derart überzeugend (mimisch & gestisch unterstützt) aufsagen, dass man meinen könnte, sie/er hätte ihn verstanden. Was aber oft nicht der Fall ist. Serienschauspieler zum Beispiel wissen meist nichts weiter über die Handlung der jeweiligen Folge zu berichten – weil sie sich ausschließlich mit ihren Parts beschäftigen und deren Text lernen, sich aber für das große, banale Ganze (zu Recht) nicht weiter interessieren. Dieses, nennen wir es mal: Gebrauchsschauspiel ist Kunsthandwerk, so, wie man Musiker, die lediglich ihr Instrument und ein paar Gelegenheiten beherrschen, auch Mugger nennt; ein gewaltiger Unterschied zur Schauspielkunst.
Das Publikum glaubt, dass alle Schauspieler sich intensiv mit ihrer Rolle beschäftigen, sie emotional und intellektuell durchdringen, wenn nötig dreißig Kilo zu- oder abnehmen, sich zu einhundert Prozent mit der Rolle identifizieren und etwas Originäres, ein Kunstwerk schaffen. In dem Zusammenhang aber: Telegenität ist ebenso wenig erlernbar wie Präsenz auf einer Theaterbühne. Charly ist einer der wenigen Schauspieler, die ihr Handwerk (sowieso) zu einhundert Prozent beherrschen, aber die so herausragend talentiert sind, dass sie ALLES spielen könnten. Charly ist ein KÜNSTLER.
Ich wiederhol es, wo ich nur kann und wann immer ich gebeten werde: Er kommt aus diesem Hardcore-Meck-Pomm-Milieu, der Vater Kneipenwirt, aber heute ist er der beste Schauspieler Deutschlands, ein klarer Geist, sagenhaft gebildet, und, jetzt pass auf, kommt noch was: auch als Mensch eine glatte Eins plus.
Nächstes Top secret, und wer es nicht mal miterlebt hat, glaubt es kaum: Theaterproben öffnen dem Wahnsinn Tür und Tor; Nervenzusammenbrüche, Brüllerei, Hysterie, Verzweiflung, Paranoia sind an der irren Tagesordnung, insbesondere die Endproben: ein einziges Psychokarussell. Nachdem wir mit Studio Braun am Thalia Theater zwei deprimierend mittelmäßige Arbeiten abgeliefert hatten (Sommernachtstraum/Fraktus), hatte ich mein Theaterengagement für beendet erklärt. Bis Karin Beier Ende 2015 das Gespräch mit uns suchte. Deutsches Schauspielhaus Hamburg.
Ich willigte nur unter zwei Bedingungen ein: Erstens, wir inszenieren zunächst den Goldenen Handschuh und danach Coolhaze, und danach Feierabend. Zweitens: Charly spielt jeweils die Hauptrolle. Es war ein Traum. Charly hat die Produktionen kraft seiner Persönlichkeit zusammengehalten, er strahlte eine derartige Ruhe, Zuversicht, Professionalität, Freundlichkeit aus, dass es weder beim Ensemble noch bei Studio Braun (als gleichberechtigtem dreiköpfigen Regieteam) zu irgendwelchen Aussetzern gekommen ist. Ich behaupte, dass wir das einzig und allein Charly zu verdanken haben. Ein echtes Vorbild. Ich weiß gar nicht, wo der Mann das alles hernimmt. Und jetzt schreibt er frecherweise noch, ich fürchte, dass auch in dieser Richtung einiges zu erwarten ist. Mir bleiben dann, als letzte Trutzburg, nur noch Saxofon und Flöte, da dürfte er mir den Rang so schnell nicht ablaufen. So, bevor es richtig peinlich wird, mach ich Schluss. Mein bescheidener Wunsch wäre, dass Charly und mir reichlich Gelegenheit geboten wird, viele bedeutende Werke (darunter machen wir es nicht) zu erschaffen; Seite an Seite gehen wir den Weg in die KÜNSTLERISCHE LEBENSENDPARTNERSCHAFT.
HEINZ STRUNK, geboren 1962 in Bevensen. Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Gründungsmitglied der Regiekollektive Studio Braun und Fraktus. Sein Buch Fleisch ist mein Gemüse war Vorlage eines preisgekrönten Hörspiels, eines Theaterstücks und eines Kinofilms. Auch nachfolgende Bücher wurden Bestseller, so auch sein jüngster Roman Ein Sommer in Niendorf. Unter dem Titel Der zurück in sein Haus gestopfte Jäger gab erein vielbeachtetes Botho-Strauß-Brevier heraus. Für Der goldene Handschuh wurde er für den Leipziger Buchpreis nominiert. Die Uraufführung der Theaterversion fand im November 2017 in Deutschen Schauspielhaus Hamburg statt; die Verfilmung von Fatih Akin feierte 2019 auf der Berlinale ihre Premiere.