Regie
Rezitation oder Theater?
Bericht über einen Regieversuch
von S. Spieß
Erschienen in: Theater der Zeit: Diskussionen ohne Grundlage (11/1946)
Assoziationen: Regie

Die Notwendigkeit, die kämpferische Gedichtfolge „Das Tausendjährige Reich“ von Horst Lommer auch von der Bühne herab wirksam werden zu lassen, stand für uns fest.
Immerhin - künstlerisch lag der Fall nicht einfach. Entweder leugnete man die Eignung dieser Gedichtfolge für eine bühnenmäßige Auslegung überhaupt oder beschränkte sich, wie es in anderen Fällen geschehen ist, auf eine Lesung der Kampfgedichte an Pulten durch einen oder mehrere Vortragende.
In dem Bemühen, eine nur rezitatorische, unseres Erachtens zu stark distanzierende Darbietung zu vermeiden, andererseits aber auch keine (der Gedichtsfolge nicht innewohnende und somit falsche) Dramatik hineinzutragen, suchte die Inszenierung des „Tausendjährigen Reiches“ am Deutschen Nationaltheater in Weimar nach einem einfachen, klaren, sinndeutenden Weg, der den rechten Abstand von kathedermäßigem Vortrag auf der einen und einer zur Unsachlichkeit verlockenden Aufzäumung im „Dreigroschenoper“-Stil auf der anderen Seite hielt.
Die Strophen wurden, in Übereinstimmung von Charakter des Inhalts und Temperament der Darsteller, drei Sprechern übertragen, die in einfachen schwarzen Talaren hinter einer Holzbarriere die Bühnenbreite frontal zum Zuschauer einnahmen. Hinter ihnen baute sich vor einem gitterartigen Pavillon die kleine Jazzkapelle auf, deren im Szenarium vorgeschriebene Funktion nur durch einen einfallsreichen Kapellmeister (Gregor Eichhorn) mit Lust und Liebe zur Sache musikalisch erfüllt zu werden brauchte, um die...