Magazin
Leben und Liebe zwischen Küche und Fabrik
Zum Tod des Dramatikers Karl Otto Mühl
von Martin Krumbholz
Erschienen in: Theater der Zeit: House of Arts – Über Macht und Struktur am Theater (10/2020)
Es war seinerzeit, 1973, eine kleine Sensation. Der fünfzigjährige Wuppertaler Exportkaufmann Karl Otto Mühl, bislang kaum als Autor in Erscheinung getreten, schrieb ein Stück, das so präzise wie einfühlsam die höchst ungewöhnliche Romanze zwischen einem verwitweten Rentner und einer fünfzig Jahre jüngeren Küchenhilfe erzählt: eine zarte Liebschaft, die von den Angehörigen des alten Mannes beargwöhnt, kaum geduldet und letztlich sabotiert wird. „Rheinpromenade“ wurde von den Wuppertaler Bühnen zur Uraufführung angenommen, vom Intendanten Arno Wüstenhöfer höchstselbst milieurealistisch inszeniert und, nach einer vielbeachteten Premiere, zum Stück der Saison; insgesamt kam es auf sechzig Inszenierungen. Ein solch durchschlagender Erfolg war selbst dem seinerzeitigen Branchenführer des „Kitchen Sink Realism“, Franz Xaver Kroetz, nicht oft beschieden.
Karl Otto Mühl, der fast alle Beteiligten an der damaligen Sternstunde überlebt hat, blieb seinem sogenannten bürgerlichen Beruf in einer Wuppertaler Metallwarenfabrik treu, definierte das Schreiben also gewissermaßen als Zweitberuf. Nach einigen Veröffentlichungen Ende der vierziger Jahre hatte er die Schriftstellerei beinahe schon aufgegeben; umso besser hatte er das Arbeiter- und Angestelltenmilieu kennengelernt, in dem seine Stücke spielten. Einige von ihnen erschienen, wie die Heiner Müllers, im West-Berliner Rotbuchverlag. Es folgten unter anderen „Rosenmontag“ und „Kur in Bad Wiessee“. Sie wurden aufgeführt und auch als Hörspiele gesendet, wenngleich sich...