Wie leben Egoisten mit Egoisten?
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Das Gespenst des Populismus – Ein Essay zur politischen Dramaturgie (01/2017)
Eines der Rätsel unserer Gesellschaft besteht darin, dass wir alle glauben, für unser Leben verantwortlich zu sein, dass aber niemand ernsthaft glaubt, durch Egoismus eine bessere Welt oder gar ein geglücktes Leben erreichen zu können. Wir denken, handeln und fühlen als Egoisten und hoffen doch darauf, dass es irgendeine Instanz in unserer Umwelt gibt, die nicht ebenso egoistisch auf uns blickt. Man rechnet damit, dass der andere auf seinen Vorteil bedacht ist, und hofft zugleich, dass die gleiche Gier bei einem selbst nicht bemerkt wird. Die nüchterne Erkenntnis daraus lautet: Wir alle spielen Theater – nicht weil wir wollen, sondern weil wir müssen.
Die Behauptung des liberalen Milieus besteht nun darin, die Spiele der Ambivalenzen und Ausnahmen als Befreiungsbewegung zu feiern. Die Entwicklung der letzten Jahre hat jedoch zu einer Schieflage geführt. Denn je mehr sich die selbstoptimierenden Lebensweisen ausdifferenziert haben, desto weiter ist die Frage der sozialen Gleichheit aus dem Blick geraten. Der Abstand ist schließlich so groß geworden, dass die Eliten nicht mehr sehen, dass die allermeisten Menschen Globalisierung und Diversität nicht als Befreiung und Chance zu verspielter Mehrdeutigkeit erleben, sondern als Heimatlosigkeit, Ausbeutung und Schutzlosigkeit. Freiheit und Vielfalt steht über allen Projekten des Liberalismus, doch die Auswirkungen...