Schöne Seelen, gute Menschen und die Anteilslosen
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Das Gespenst des Populismus – Ein Essay zur politischen Dramaturgie (01/2017)
In einer Inszenierung des Regisseurs und Autors Milo Rau hält eine junge Frau einen Vortrag darüber, was sie in ihrer mehrjährigen Arbeit als Entwicklungshelferin erlebt hat. Je länger der Vortrag dauert, desto unsympathischer wird die Person. Was anfangs der mitfühlende Impuls eines jungen Menschen aus der reichen Welt war, der etwas Gutes tun will, wird, je tiefer man in die Widersprüche der Entwicklungshilfe eintaucht, immer fragwürdiger. Am Ende beschleicht das Publikum die unbehagliche Einsicht, dass der Antrieb, hilfsbedürftige Menschen in Afrika zu retten, vor allem das Ego der weißen Mittelklasse steigert: Man hilft und fühlt sich darum gut. Und zugleich findet man die Überlegenheit der eigenen Lebensform permanent bestätigt, da es ja so viele gibt, die auf Hilfe angewiesen sind. Der weiße Herrenmensch tritt im Theater in Gestalt einer sehr sympathischen Frau auf, die aus den edelsten Gründen zu einer Kolonisatorin der Seele wird.
Um den Widersprüchen der Inszenierung noch eine weitere Ebene hinzuzufügen, beginnt der Abend mit dem Monolog einer afrikanischen Schauspielerin, die von ihrer Adoption durch ein belgisches Ehepaar berichtet. Inzwischen arbeitet sie als Schauspielerin in Europa, hat jedoch immer wieder die Sorge, dass sie allein wegen ihrer exotischen Hautfarbe engagiert wird, um für die jeweilige Inszenierung eine...