Theater der Zeit

Stück

Wozu streiten? Morgen seid ihr kalt!

Die Schriftstellerin Zsuzsa Bánk hat ihr erstes Theaterstück geschrieben: Der Monolog „Alles ist groß“ handelt von einem Grabmacher, enttabuisiert den Tod und feiert das Leben

von Shirin Sojitrawalla

Erschienen in: Theater der Zeit: Wir sind die Baumeister – Ein Schwerpunkt über Theater und Architektur (11/2020)

Assoziationen: Dramatik Schauspiel Frankfurt

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Zu den wiederkehrenden Verlautbarungen neuer Intendantinnen und Intendanten gehört, Theater für die jeweilige Stadt machen zu wollen, sprich: die Geschichten und Gegebenheiten vor Ort in die Spielzeitgestaltung einzubeziehen. Das hörte man auch 2017 beim Amtsantritt von Anselm Weber und seiner Stellvertreterin Marion Tiedtke am Schauspiel Frankfurt, die gemeinsam mit dem Literaturhaus der Stadt eine Reihe mit Monodramen initiierten, in Auftrag gegeben bei namhaften Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Eine schöne Idee, die es Prosaschriftstellern ermöglichte, sich dramatisch auszuprobieren. Zudem brachte sie das Theater mit Leuten der Stadtgesellschaft in Kontakt. Die Kollegin der Frankfurter Rundschau konstatierte damals zu Recht: „,Stimmen einer Stadt‘ gehört zu den reizvollsten Ideen, die das Schauspiel Frankfurt unter Anselm Weber ausgeheckt hat.“

Das Konzept sieht vor, dass eine reale Frankfurter Figur Pate steht für einen etwa einstündigen Monolog. Autoren wie Wilhelm Genazino, Teresa Präauer oder Angelika Klüssendorf folgten dem Angebot. Es war nicht alles Gold, was da herauskam. Oft zu dokumentarisch und zu wenig poetisch oder andersherum und häufig auch einfach zu bieder in Szene gesetzt. Wie geplant läuft das Projekt nach drei Jahren in dieser Spielzeit aus, nicht ohne mit „Alles ist groß“ von Zsuzsa Bánk einen letzten Höhepunkt zu erreichen. Für ihr Monodrama, das neunte und letzte der Reihe, hat sich die in Frankfurt lebende Autorin für einen Grabmacher als Pate entschieden.

Ein Grabmacher macht Gräber, begleitet die Verstorbenen auf ihrem letzten Gang, bettet sie zur letzten Ruhe. Auf einer Beerdigung sei ihr die stille Figur im Hintergrund aufgefallen, erzählt sie. Sie habe sich mit dem Mann getroffen, sei einen Tag mitgelaufen, und er habe sehr offen über seine Arbeit berichtet. All sein Wissen, aber auch seine Macken und seine Offenherzigkeit, seine absichtslose Pietätlosigkeit sind in die Figur geflossen. Der Schauspieler Nils Kreutinger verkörpert ihn als interessanten Angeber, der mal wie ein Wanderprediger, mal wie ein Disco­könig erscheint. Eine schillernde Figur, die vom Sterben so viel weiß wie vom Leben und nicht nur deswegen wie gemacht ist fürs ­Theater. „Mein Thema ist immer das Leben nach einer Katastrophe“, hat die 1965 ge­borene Zsuzsa Bánk einmal gesagt. Das ist auch das Thema ihres Grabmachers, der jeden Tag mit den Katastrophen der anderen zugange ist. Für Bánk ist er keine typische Frankfurter Stimme, sondern jemand, der am Rand steht und im Trubel einer Großstadt eher untergeht, wie alles andere auch, das an den Tod und das Sterben gemahnt. Bánk verhilft diesen Themen zum großen Auftritt.

Nach ihrem Abitur arbeitete die Tochter ungarischer Eltern zuerst als Buchhändlerin, bevor sie Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur in Mainz und Washington ­studierte. Gleich für ihren ersten, 2002 erschienenen Roman „Der Schwimmer“, eine Kindheitsgeschichte aus dem Ungarn der fünfziger, sechziger Jahre, erhielt sie gewichtige Preise. Auch ihre folgenden Bücher, der Erzählungsband „Heißester Sommer“, die zauberhafte Dreiecksgeschichte „Die hellen Tage“ und der Briefroman einer Frauenfreundschaft „Schlafen werden wir später“ waren äußerst erfolgreich, wenngleich es Stimmen gab, die ihnen Gefühligkeit und Sentimentalität vorwarfen. Zsuzsa Bánk ist bekannt für lange Sätze, die sich in Schleifen vorwärts bewegen. Es ist eine Prosa, die einen ganz eigenen Sound und Sog entwickelt.

Ihr Grabmacher erinnert auch an die berühmtesten Totengräber der Theatergeschichte, jene aus Shakespeares „Hamlet“. Die beiden wissen ebenso viel über das, was sie tun, und nehmen das Sterben doch auf die leichte Schulter. Der namenlose Grab­macher aus „Alles ist groß“ scheint ein Nachfahre. Wie das berühmte Shakespeare-Duo bringt auch er es fertig, inmitten der Toten ein Liedchen anzustimmen. Dabei ist er eine durch und durch theatrale Figur und gleichzeitig ein Experte des Alltags, wie man ihn sich an einem Rimini-Protokoll-Abend vorstellen könnte. Doch „Alles ist groß“ ist kein Dokumen­tartheater, sondern die poetisch überhöhte Verdichtung einer realen Figur. Der echte Grabmacher arbeitet auf dem Friedhof Heiligenstock, im Nordosten Frankfurts: „Ohne diesen Grabmacher wäre das Stück in dieser Form, mit diesen ­Details, nicht entstanden. Klar, dazugedichtet habe ich eine ganze ­Menge, mein Grabmacher erkennt sich womöglich nicht wieder, wenn er das Stück sieht, aber er hat mir den Kern dazu geschenkt“, erläutert Zsuzsa Bánk.

Das führt auf der Bühne zu einem ebenso aufschlussreichen wie unterhaltsamen Ergebnis, was auch daran liegt, dass der Regisseur Kornelius Eich den Inszenierungswünschen der Autorin folgt: „Grundsätzlich: lieber schräg und komisch als betont traurig. Unbedingt das Komische und Überzogene an den Stellen herauskehren, die das gestatten. Das immanent Groteske herausstellen.“ Zsuzsa Bánk kann wahrscheinlich froh sein, dass Intendant Anselm Weber, der sonst alle Folgen der Reihe inszeniert hat, bei ihrem eine Ausnahme gemacht hat. Speziell mit seinen beiden zum Abschluss präsentierten Texten von Martin Mosebach und Lars Brandt hat er sich nicht mit Ruhm bekleckert beziehungsweise zum Ausdruck gebracht, dass ihn diese ­Monodramen nicht inspirieren. Ganz anders Kornelius Eich, der oft bei Anselm Weber ­assistierte. Seiner Inszenierung merkt man den Spaß an der ganzen Sache an, die Lust, rund sechzig Minuten einer Figur und ihren Uneindeutigkeiten zu widmen. Auch Zsuzsa Bánk hat ihr erster Theatertext Freude bereitet. In ihren Romanen und Erzählungen verzichtet sie auf direkte Rede und Dialoge.

Wie ist es für sie gewesen, Sätze zu formulieren, die ein Schauspieler auf der Bühne sprechen soll? Man klopfe sie anders ab, antwortet sie. Und: „Ich habe mir beim Schreiben immer ausgemalt, wie das jemand sagen würde. Ob man wirklich so reden kann. Die langen, spiralhaften, oftmals mäandernden Sätze, die Sie in meiner Prosa finden, tauchen hier nicht auf. Ich habe versucht, den Text prägnanter zu fassen, kürzer, heftiger, deutlicher.“ Es sei neu gewesen für sie, eine Figur nicht über ihre Taten und Wahrnehmung, sondern allein über ihre Sprache zu entwickeln, fügt sie an. Auch bei den Proben war sie mehrmals zugegen: „Dort zu erleben, wie Nils Kreutinger meine Erfindung lebendig macht, wie er die Figur über ihre Sprache ausgestaltet und entwirft, das war ein Geschenk.“

Thematisch fügt sich ihr erstes Theaterstück zu ihrem im September erschienenen neuen Buch „Sterben im Sommer“, in dem sie über den Tod ihres Vaters schreibt. Ein Trauerbuch. Beiden Texten gemeinsam ist ihr lebensbejahender Gestus, ja, ihre zum Ausdruck gebrachte Lebensfreude. Natur­gemäß ist auch ihr Grabmacher ein wandelndes Memento mori (Sei dir der Sterblichkeit bewusst). „Hey, wozu streiten!? / Morgen schweigt ihr / Warum rennt ihr? / Morgen seid ihr kalt / Warum streitet ihr? / Morgen seid ihr reglos“, mahnt er das Publikum ebenso schnoddrig wie hellsichtig. So wie ein Friedhof ein Ort ist, an dem man viel übers Sterben und Leben lernen kann, ist auch das Thea­ter ein Ort für letzte Fragen. Ein Gedanke, dem Zsuzsa Bánk zustimmt: „Um nichts anderes geht es doch, auf der Bühne, in der Literatur! Was sind unsere großen Themen? Liebe und Tod. Vor was fürchten wir uns, was zieht uns immer wieder in seinen Bann, was verschreckt uns? Liebe und Tod.“

In einem früheren Gespräch hat sie einmal verraten, dass das Wort Himmel ihr Lieblingswort sei. Das passt. Zu hellen Tagen wie zu dunklen Stunden. Zum Raum zwischen Diesseits und Jenseits und zur Leichtigkeit und Hochgestimmtheit, mit der Zsuzsa Bánk ihn durchschreitet. //

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