Grenzgänge – 13 neue Kurzstücke – geschrieben für das Schauspielhaus Graz
Horváths Gebeine
von Peter Turrini
Erschienen in: Theater der Zeit: Fuck off (09/2015)
Beinahe jeder Literaturfreund weiß, dass der Dichter Ödön von Horváth im Jahre 1938 in Paris von einem herunterstürzenden Ast erschlagen wurde. Schon weniger wissen, dass sich in der Tasche seines Sakkos Pornohefte befanden. Offensichtlich ging es ihm damals finanziell so schlecht, dass er mit dem Verkauf der Heftchen versuchte, ein kleines Zubrot zu verdienen. Noch weniger wissen, dass Horváths Freund, der Dichter Joseph Roth, welcher die Totenrede auf Horváth hielt, beim Begräbnis so besoffen war, dass er in die offene Grube fiel. Nach seinem Tode geriet Horváth literarisch in Vergessenheit, erst in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde er eine Berühmtheit.
Da man in Österreich alles hochleben lässt, was hinlänglich tot ist, beschloss der Wiener Gemeinderat 1988, also fünfzig Jahre nach dem Tode Horváths, diesem ein Ehrengrab auf dem Heiligenstädter Friedhof in Wien zu errichten. Der Beschluss erfolgte einstimmig, auch die äußerste Rechte stimmte zu. Diese wusste zwar nicht, wer Horváth war, auch kam ihren Abgeordneten der Name »Ödön von Horváth« ziemlich ausländisch vor, aber das »von« machte sie doch etwas unsicher und erwirkte letztendlich ihre Zustimmung.
Die Österreichische Botschaft in Paris wurde mit der Exhumierung der Horváthschen Überreste – diese lagen auf einem Vorstadtfriedhof von Paris...