Report
Ende der Exception Culturelle
Die französischen Nationaltheater arbeiten nur noch im Krisenmodus
von Eberhard Spreng
Erschienen in: Theater der Zeit: Radikal anders – Kulturhauptstadt Chemnitz (12/2024)
Assoziationen: Europa
Tout Paris war im November ins Théatre de l’Odéon gekommen, um die Abschiedsinszenierung eines Theatermannes zu erleben, der das Haus seit 2016 sehr erfolgreich geführt hat. Stéphane Braunschweig inszeniert Tschechows „La Mouette“ (Die Möwe) als einen Abgesang auf Tschechows Welt der ländlichen Idyllen. Auf einem engen Streifen vor dem eisernen Vorhang spielen die ersten Szenen: das übliche Warmlaufen der Gelangweilten, der Künstler:innen und derer, die es gern werden würden, der Etablierten und des Nachwuchses. Eine Gesellschaft auf Landpartie, die sich herzlich auf die Nerven geht. Erst des jungen Treplevs avantgardistisches Stücklein öffnet den Bühnenraum. Dieser apokalyptische Monolog, den das genervte Gutshofspublikum unterbricht und über den es sich lustig macht, ist eine dystopische Zukunftsvision, die man in „Möwe“-Inszenierungen selten ernst nimmt. Sie ist dann immer nur Auslöser für Streit und Drama. Aber diese dramaturgische Nebensache macht Regisseur Stéphane Braunschweig nun zum Kern seiner Inszenierung. Der eiserne Vorhang geht also hoch und gibt den Blick frei auf eine große postapokalyptische Landschaft. In dieser „Möwe“ ist die Welt nach der Umweltkatastrophe wirklich schon verspielt. Das Reden über Kunst und Welt wird zum tristen Abgesang.
Stéphane Braunschweig inszeniert eine pessimistische „Möwe“ als nicht durchgängig aufregendes Schauspielertheater, das das Publikum im Théâtre de l’Odéon mit...