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Geschichten vom Herrn K.: Armutsursachen bekämpfen
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Umkämpfte Vielfalt – Das Theater und die AfD (04/2019)
Ich weiß nicht, was Sie sehen, wenn Sie vor die Tür gehen. Vielleicht das Meer oder den Wald oder die Berge. Natur ist schön, sie hat so etwas Unschuldiges. Wenn ich vor die Tür gehe, sehe ich Armut. Ich sehe nicht nur Obdachlose und Bettler, sondern Menschen, denen die Entbehrung ins Gesicht geschrieben ist. Armut macht keine zarten Gesichtszüge, sondern harte. Arme Menschen sterben im Durchschnitt ein Lebensjahrzehnt vor den reichen. Édouard Louis hat darüber in „Wer hat meinen Vater umgebracht“ geschrieben. In dem Berliner Stadtteil, in dem ich lebe, sind über ein Viertel der Menschen auf Sozialleistungen angewiesen, sie sind aus verschiedenen Gründen, die außerhalb ihres Einflusses liegen, nicht in der Lage, ihr Überleben zu bestreiten – gleichzeitig steigen die Mieten berlinweit am stärksten. Selten sieht man solches Elend auf den Theaterbühnen. Ich bin persönlich nicht daran interessiert, dass man die Armen auf die Bühnen der Republik zerrt, damit sie dort wie Exoten begafft werden. Außerdem sehe ich das ja jeden Tag. Warum also auch noch im Theater? Zeigen muss man, wie die Armut ursächlich mit dem Reichtum entsteht. Das hat etwas mit der eigentümlichen Produktionsweise zu tun, die unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Die funktioniert nämlich in Widersprüchen. Und...